Poema 15 − Pablo Neruda

Wenn du schweigst, gefällst du mir,
weil es dann ist, als wärest du ferne.
Du hörst mir von weit her zu, und meine Stimme fängt dich nicht ein.
Es ist, als flögen deine Augen davon – wie Bernsteinfalter.
Und es ist, als hätte ein Kuss dir den Mund verschlossen.

Meine Seele ist in allen Dingen,
und so steigst auch du aus den Dingen,
durchtränkt mit meiner Seele.
Du gleichst meiner Seele, Traumfalter.
Und in dir klingt das Wort Schwermut.

Wenn du schweigst, gefällst du mir,
weil es dann ist, als wärest du weit fort
und als würdest du wehklagen, Schmetterling meines Wiegenliedes.
Du hörst mir von weit her zu, und meine Stimme erreicht dich nicht.
Lass mich still sein in deinem Schweigen.

Und lass mich dich auch mit deinem Schweigen ansprechen,
so klar wie ein Licht in der Nacht,
so schlicht wie ein Fingerring.
Du bist wie die lautlose, sternenklare Nacht.
Dein Schweigen gleicht den Sternen, so fern und schlicht.

Wenn du schweigst, gefällst du mir,
weil du dann fast schmerzlich weit weg bist,
als wärst du nicht mehr von dieser Welt, als lägest du im Grab.
Ein Wort dann von dir, ein Lächeln genügt,
Und ich bin überglücklich, dass du noch da bist.

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Pablo Nerudas Poema 15 wurde im Jahr 1924 geschrieben und ist eines von zwanzig Liebesgedichten einer Serie, die vor Sinnlichkeit nur so trieft – ganz im Gegensatz zur nüchternen Durchnumerierung der Gedichtüberschriften. Bei der Übersetzung liess ich mich von der schlichten Sprache des Originals inspirieren. Dies betone ich, weil einige Übersetzer der üppigen Sinnlichkeit mit einer üppigen Sprache gerecht werden wollten.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, einen kleinen persönlichen Zusatz in die Übersetzung zu schmuggeln, wodurch sie wohl zu einer Nachdichtung wird. (Allerdings sind alle übersetzten Gedichte eher Nachdichtungen, wenn sie auch in der Zielsprache Lesegenuss bereiten sollen.) Wer herausfindet, wo dieser Zusatz steht, bekommt etwas, das ich mir noch ausdenken muss …

Das Gedicht wurde von verschiedenen südamerikanischen SängerInnen vertont, am schönsten von Victor Jara. Anhören kann man das wunderschöne Lied hier.

Comments

  1. alina says:

    Hello! I am searching for a german version of poems 9,11,13,14,16,17,18,19 [I already have the others]. Is it possible to provide some of them? I really need them for a gift and I don’t have the time to order the book 😦 thanks in advance.

  2. haxtholm says:

    Ich hab die beiden Versionen nebeneinandergestellt, da ich kein Spanisch kann, hab ich versucht Zeile für Zeile zu vergleichen, hab dann vorsichtshalber noch mal „hubieran“ nachgeschaut und mir fiel dann auf, dass in dieser Zeile etwas nicht ganz passte. War also eigentlich einfach, aber habe trotzdem so 7 Minuten gebraucht. Wir können das ja mal mit Arabisch wiederholen, hehe…Kannst du das Gedicht vielleicht in Spanisch mal irgendwie aufsagen und aufnhemnen, ohne Vertonung ? Hast du eigentllich Skype ?

    • Clever, der Interlinearvergleich! Doch dasselbe in Arabisch wird bestimmt schwierig für mich.

      Hier kannst du das Gedicht in Spanisch anhören: http://www.youtube.com/watch?v=dAJqeJyMlg8. Es gibt auf YouTube eine Vielzahl an Interpretationen, die meisten mit kitschigen Bildern und süsslicher Musik hinterlegt. Die ausgewählte Version hat mir am besten gefallen.

      Nein Skype habe ich nicht – und tue ich mir auch nicht zu. Habe noch nie gern telefoniert.

  3. haxtholm says:

    ich tippe auf „Bernsteinfalter“

    • Gratuliere! Der Kandidat hat hundert Punkte … War nicht schwierig, Haxtholm. Oder?

      Ich weiss inzwischen auch, was ich dem würdigen Gewinner als Zeichen zukommen lassen möchte. Die Formalitäten dazu erledigen wir aber per Mail.

      Danke fürs Mitmachen!

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