Das Referendum gegen den Ausbau des Schweizer Beitrags an die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) dürfte es an der Urne schwer haben. Aufrüstung liegt nun mal im Trend. Und was Frontex bei der Sicherung der europäischen Aussengrenzen alles anstellt, interessiert nur eine Minderheit. Allerdings sollte bedacht werden, dass Werte wie Menschenrechte und Völkerrecht, die Europa und mit ihm die Schweiz gegen den Aggressor in der Ukraine ins Feld führt, andernorts durch Frontex verraten werden. – Eine Streitschrift gegen die Scheinheiligkeit.
Am kommenden 15. Mai entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten unter anderem über die Aufstockung des Schweizer Beitrags an die Grenzschutzagentur Frontex. Der jährliche Beitrag an Frontex soll von heute 24 Millionen auf 61 Millionen Franken bis im Jahr 2029 angehoben werden. Ferner sollen die von Schweizer Beamten besetzten Vollzeitstellen von 6 auf 40 aufgestockt werden. Es geht dabei um den Nachvollzug des von der Europäischen Union im Jahr 2019 verabschiedeten Frontex-Ausbaus, einen Nachvollzug, zu dem die Schweiz als Mitglied des Schengen-Raums verpflichtet ist. Das Schweizer Parlament hat diese Verordnung respektive deren Nachvollzug gutgeheissen, wogegen das Referendum ergriffen wurde.
Ein Novum in der Schweiz und darüber hinaus: Zum ersten Mal wird über Frontex und damit über das europäische Grenzregime in breiter Öffentlichkeit und direktdemokratisch verhandelt. Denn was wie eine Selbstverständlichkeit daherkommt – Überwachung der EU-Aussengrenze, nachdem die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft worden sind –, ist in der heutigen Form eine Ungeheuerlichkeit. Die Flüchtlingstragödien an den EU-Aussengrenzen sind menschengemacht. Die Frontex als ausführende Behörde des europäischen Grenzregimes trägt dafür eine grosse Verantwortung – und damit auch wir in der Schweiz.
Krieg gegen Migration
Frontex ist hauptsächlich eine Agentur zur Abwehr von Flüchtlingen und MigrantInnen geworden. Sie ist mitverantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an Europas Aussengrenzen. Unter ihren wachsamen Augen ertranken in den letzten Jahren Tausende MigrantInnen und Flüchtlinge im Mittelmeer. Und es werden immer mehr. Gleichzeitig wird die Seenotrettung durch humanitäre Organisationen entlang der Flüchtlingsrouten immer mehr unterbunden und kriminalisiert. Frontex arbeitet mit den libyschen Behörden zusammen, die – etwa mit ihrer Küstenwache – an der zentralen Mittelmeerroute als Türsteher gegen Flüchtlinge fungieren und im Zusammenhang mit dieser Rolle schwere Menschenrechtsverletzungen verüben.
Frontex steht für die Militarisierung der EU-Aussengrenzen – und einen regelrechten Krieg gegen Migration. Mit zusätzlichen Mitteln, auch aus der Schweiz, wird dieser Krieg noch befeuert. Sogenannte Realisten und Pragmatiker werden entgegnen, mit einer solchen Fundamentalopposition gegen Frontex würde an den EU-Aussengrenzen für die Flüchtlinge gar nichts besser. Im Gegenteil: Eine auch finanziell gut ausgestattete Grenz- und Küstenwache sei gerade in menschenrechtlichen Belangen besser aufgestellt. Zudem stehe eine solche Agentur unter behördlicher Aufsicht und sei der «Geschäftsprüfung des Europaparlaments» unterstellt, so zum Beispiel Rudolf Strahm in einer Kolumne im Tagesanzeiger.
Und warum ist es dann möglich, dass unter dieser angeblichen Kontrolle Hunderte, wenn nicht Tausende Pushbacks stattfanden, also Flüchtlinge an der Wahrnehmung ihres Grundrechtes auf Prüfung ihrer Fluchtgründe gehindert werden, wie inzwischen ans Licht kommt und für welche Frontex zumindest mitverantwortlich ist?
Frontex als Handlanger einer verfehlten Flüchtlingspolitik
Frontex darf nicht mit zusätzlichem Geld alimentiert werden, solange die menschenverachtenden Praktiken nicht aufgearbeitet und beendet sind. Vielmehr muss der Grenzschutzagentur das Geld entzogen werden, um Schlimmeres zu verhindern. Doch das eigentliche Problem ist die europäische Asyl- und Migrationspolitik. Frontex ist nur das ausführende Organ. «Die EU ist de facto im Kriegszustand gegen MigrantInnen», wie der spanische Professor für Rechts- und politische Philosophie an der Universität von Valencia Javier des Lucas schon vor Jahren sagte. Weiter: «Und das ist ein Kampf mit allen Mitteln, auch jenseits rechtlicher Normen, mit dem einzigen Ziel, die vermeintliche Zuwanderungs- und Flüchtlingslawine aufzuhalten. Zu den bevorzugten Mitteln gehören dabei die polizeilichen Kontrollmechanismen, die sich von militärischen Mitteln kaum noch unterscheiden.» Frontex ist Handlanger dieser Politik.
Kein Schengen-Rauswurf auf die Schnelle
Die Abstimmung zum Frontex-Referendum wird von den Gegnern zum Ja oder Nein zur Mitgliedschaft beim Schengen-Raum hochstilisiert. Gerade beim zurzeit angespannten Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Schweiz drohe bei einem Nein zur Aufstockung des Schweizer Beitrags an die Frontex ein Rauswurf aus dem Schengen-Raum.
Um diese Frage geht es beim Frontex-Referendum nur indirekt. Es gibt diesbezüglich keinen Automatismus. Allerdings müsste die Schweiz mit der EU verhandeln, wie die Zusammenarbeit fortgesetzt werden soll. Keine der beiden Seiten kann ein Interesse daran haben, die inzwischen komplex gewordene Kooperation im Schengen-Raum mit einem Federstrich aufzukündigen. Laut Rainer J. Schweizer, ehemaliger Staatsrechtsprofessor an der Universität St. Gallen, wäre dies auch rechtlich so vielschichtig, dass es ein eigentliches Austrittsverfahren bräuchte, zu vergleichen vielleicht mit dem Brexit, um den Schengen-Vertrag zwischen der EU und der Schweiz aufzulösen.
Bei der Diskussion im Schweizer Parlament wurden seitens der Befürworter des Referendums, hauptsächlich von SP und Grünen, Vorschläge gemacht, wie als humanitäre Ausgleichsmassnahme zur Aufstockung des Schweizer Frontex-Beitrags das Asylrecht gestärkt werden kann, etwa durch die Aufnahme von mehr Resettlement-Flüchtlingen, durch die Wiedereinführung des Botschaftsasyls und einem Ausbau der humanitären Visa. Dies wurde von bürgerlicher Seite abgeschmettert – was das Referendum gegen die einseitige Vorlage zur Folge hatte …
Es würde der Schweiz gut anstehen, ihre sogenannte «humanitäre Tradition» nicht nur wie eine Monstranz vor sich her zu tragen, sondern auch danach zu handeln. Die Rückweisung der einseitig auf Flüchtlingsabwehr ausgerichteten Frontex-Vorlage bietet eine Gelegenheit dazu.
Bilder
oben: «NoFrontex» von 2le2im-bdc, CC-Lizenz via Wikimedia Commons
Mitte: «Mitglied der Frontex» von Rock Cohen, CC-Lizenz via flickr
unten: «Warzaw Spire» von Neil Williamson, CC-Lizenz via flickr
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