Kann Kunst die Welt verändern?

Diese Frage stellte die Basler Zeitung in einer Beilage anlässlich der ArtBasel, der «weltweit grössten Kunstmesse». Eine spannende Frage, der ich hier etwas auf den Grund gehen möchte. Spannend auch, weil die Frage ausgerechnet im Zusammenhang mit dieser Kunstmesse gestellt wird, einem «Grossevent», der Kunst und Kommerz verbindet wie wohl kein zweiter.

Je allgemeiner eine Frage ist, umso allgemeiner fällt die Antwort aus. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in besagter BaZ-Beilage die Antworten von «Selbstverständlich!» bis «Es wäre schön, doch ich glaube nicht daran» reichen. Es werden indes auch differenziertere Antworten gegeben.

Geht man der Frage selbst etwas auf den Grund, so muss man zunächst feststellen, dass natürlich jede Handlung des Menschen, sei sie künstlerisch oder nicht, «die Welt verändert». Setze ich einen gelben Farbklecks an meine Badezimmerwand, so ist diese – und damit die Welt an sich – anders geworden. So weit, so banal. Dies kann mit der Frage wohl kaum gemeint sein. Vielmehr geht es darum, ob künstlerisches Tun grundsätzlich dazu fähig ist, in den geschichtlichen Weltenlauf einzugreifen.

Hat Kunst je in dein Leben eingegriffen?
Da Kunst für den Menschen gemacht wird, müsste zunächst geklärt werden, ob Kunst den Menschen verwandeln kann, zum Beispiel indem seine Sicht auf die Welt, seine gefestigte, womöglich verhärtete Betrachtungsweise aufgeweicht, vielleicht gar erschüttert wird. Dies nun traue ich der Kunst durchaus zu, habe ich das doch an mir selbst erfahren. Sie öffnet neue Perspektiven, rüttelt auf, erweitert den Horizont und hinterfragt Vorurteile. Sie kann verunsichern, gar schockieren. Und indem sie das Leben des einzelnen Menschen verwandelt, wäre ein erster Schritt hin zur Veränderung der Welt getan. Dies trifft auf den Künstler selbst ebenso zu wie auf den Kunstliebhaber.

Bei mir war es – neben anderen Schriftstellern – Fernando Pessoa mit seinem Buch der Unruhe, der meine Weltsicht, ja, mein Wesen beeinflusst hat. Sein poetischer Blick auf die Welt, der jegliche Ambitionen – etwa nach Welterkenntnis oder einer höheren Bestimmung – von Grund auf verneint, hat mich zugleich tief berührt, wie er auch meinem nach Höherem strebenden Wesen einen nachhaltigen Dämpfer versetzt hat, zum Beispiel mit Worten wie diesen:

«Dass ich kein römischer Kaiser geworden bin, kann mich nicht sonderlich kümmern, wohl aber kann es mir überaus leid tun, nie auch nur ein Wort an die Näherin gerichtet zu haben, die immer gegen neun um die rechte Strassenecke biegt.»

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares; Übersetzung aus dem Portugiesischen: Inés Koebel
Amman Verlag 2006, S. 147

Mit dieser Wirkung auf mein Wesen ist natürlich die Welt noch nicht anders geworden – aber ich selbst ein Stück weit. Die Poesie hat in mein Wesen eingegriffen und damit zumindest die Möglichkeit einer Weltveränderung geschaffen.

Wie steht es mit dir, liebe Leserin, lieber Leser: Hat die Kunst je in dein Leben eingegriffen? Hat sie dich je verwandelt? Beispiele in Form eines Kommentars würden mich freuen.

Hast du je die Welt verändert?
Wenn du die obige Frage mit Ja beanworten kannst, müsste nur noch geklärt werden, ob du je in den Weltenlauf eingegriffen hast und ob dies gegebenenfalls mit deinem Kunsterlebnis einen Zusammenhang hat. «In den Weltenlauf eingreifen» ist natürlich ein grosses Wort. Die wenigsten werden das für sich selbst in Anspruch nehmen. Vielmehr denkt man da sogleich an Könige oder Diktatoren – oder andere Politiker, an berühmte Wissenschafter oder Revolutionäre. Dass wir selbst die Welt verändern, streiten die meisten von uns heftig ab, und doch tun wir es – ein kleines Bisschen zumindest.

Die Kunst als Nährboden für Veränderungen
Doch wie gesagt: Dieses kleine Bisschen Weltveränderung schwingt in der Ausgangsfrage nicht wirklich mit. Es geht um grössere, ja, historische Veränderungen. Und dass die je aus einem direkten künstlerischen Impuls erfolgt wären, kann so wohl kaum behauptet werden. Und doch bilden die kreativen Prozesse der Kunst einen Nährboden, wo auch Veränderungsprozesse gedeihen können – Weltveränderungsprozesse. Und nun behaupte ich mal ganz schön dreist: Ohne dieses gesellschaftliche Substrat der Kunst, ohne diesen Nährboden der künstlerischen Sichtweise würden alle Weltveränderungsprozesse in dieselbe Richtung weisen, nämlich in Richtung Abgrund. Die Kunst und ihre kreativen Prozesse stellen ein Gegengewicht dar zum reinen Zweckoptimismus, zur geistlosen Verwertungslogik, zum «heiligen Befreiungskriege der Menschheit» (Heinrich Heine). Sie bringt in die Menschheitsentwicklung eine poetische Note, einen betörenden Duft, einen wohltuenden Klang, der zuweilen allerdings – ich gebe es zu – in der Kakofonie des menschlichen Strebens untergeht.

Noch was zur ArtBasel
Die ArtBasel, die «grosse Kunstmesse», steht ganz im Zeichen der Kunst – und des Kommerzes. Nichts illustriert das schöner als die Einstiegsseite im Internet, wo neben dem ArtBasel-Header das UBS-Logo prangt – als einzige grafische Auflockerung auf der spartanischen Einstiegsseite … Zumindest generiert Kunst monetäre Umsätze, besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Die Aussteller jedenfalls geben sich zufrieden. Könnte es sein, dass das Kapital in diesen Zeiten die Kunst zunehmend als sicheren Hafen entdeckt, als vergleichsweise verlässliche Wertanlage?

«Das Gespräch», Keramik-Gruppe, aufgenommen auf Burg Giebichenstein, Halle/Saale
Foto (CC-Lizenz): baerchen57

Interkultur statt Multikulti

Die Globalisierung ist eine Tatsache. Und damit auch die gegenseitige Durchdringung der Völker und Kulturen. Es ist deshalb ein Gebot der Sachlichkeit – und der Menschlichkeit, vor diesen Tatsachen nicht die Augen zu verschliessen. Die Gegenwart fordert neue Konzepte des Miteinanders der Kulturen. – Der Versuch einer Klärung.

Bis heute ist es in manchen Bevölkerungskreisen chic, für ein friedliches Nebeneinander von Bevölkerungsgruppen und Kulturen zu sein. Multikulti macht das Leben bunter und sorgt für kulinarische Vielfalt. Man pflegt an Stadtteilfesten die Verständigung zwischen den Kulturen und lässt sich ansonsten mehr oder weniger in Ruhe. Denn schliesslich sind die Zugewanderten fleissige Arbeitskräfte, tun die ungeliebte Arbeit im Niedriglohnsektor, leben ansonsten einigermassen bescheiden unter ihresgleichen und sind gleichzeitig mit einem guten Teil ihrer Seele dem Herkunftsland zugetan.

Gehässige Integrationsdebatte
Doch nicht erst als der Begriff der Leitkultur auftauchte, bekam diese traditionelle Rollenverteilung zwischen Einheimischen und Zugewanderten erhebliche Risse, und inzwischen wird die Integrationsdebatte mit so gehässigen Worten geführt, dass man ernsthafte Zweifel daran haben muss, ob diese Menschen „mit Migrationshintergrund“ überhaupt noch bei uns willkommen sind, auch wenn sie schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten hier leben. Irgendwie erinnert das an die Vertreibung der Juden aus dem Spanien des 13. Jahrhunderts. Damals mussten alle Juden gehen – oder wurden umgebracht –, wenn sie nicht zum Christentum konvertierten.[i]

Doch, Hand aufs Herz, ist nicht bereits das Konzept der Multikulturalität Ausdruck einer Art Überheblichkeit der eigenen Kultur gegenüber der „Fremdkultur“, indem zwar ein Nebeneinander der Kulturen akzeptiert wird, nicht aber ein wirkliches Miteinander? Dies kommt etwa zum Ausdruck, indem die ZuwandererInnen zwar sehr wohl hier arbeiten und auch Steuern bezahlen dürfen, von der politischen Mitbestimmung aber weitgehend ausgeschlossen sind. Sie sind trotz allen guten Willens ein unterprivilegierter Teil der gemeinsamen Kultur.

Klärung der Begriffe
Das Konzept der Interkulturalität geht hier einen Schritt weiter. Während bei der Multikulturalität davon ausgegangen wird, „dass es nicht zur Verschmelzung der verschiedenen Kulturen kommt, sondern dass sie nebeneinander bestehen“, versteht man „unter Interkulturalität das Aufeinandertreffen von zwei oder mehr Kulturen, bei dem es trotz kultureller Unterschiede zur gegenseitigen Beeinflussung kommt“.[ii]

Und gerade in dieser gegenseitigen Beeinflussung, in dieser Begegnung auf Augenhöhe sehe ich eine grosse Chance für unsere heutige Gesellschaft, ja die notwendige Voraussetzung für eine moderne, menschengemässe Gesellschaft in einer globalisierten Welt. Der kulturelle Horizont einer Gesellschaft erweitert sich deutlich, und Interkultur beugt auch einer globalisierten Einheitskultur vor, wie sie sich zum Beispiel im Ausdruck der McDonaldisierung der Gesellschaft[iii] ausspricht.

Doch was heisst das konkret? Zunächst muss – endlich – anerkannt werden, dass wir in Mitteleuropa eine Einwanderungsgesellschaft sind – ja, dadurch geradezu an Dynamik gewinnen – und dass der alte Begriff der Kultur, wie er noch in vielen Köpfen herumgeistert, nämlich als Einheit von Rasse, Land, Volk, Tradition, Sprache, Werten und Normen sowie Staat, längst mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Kultur ist nicht ein Statisches, zu Bewahrendes, sondern war und wird immer ein Prozess sein, eine Entwicklung, eine Lebenswirklichkeit. Und es ist höchste Zeit, dass wir das aktiv und bewusst gestalten. Interkulturalität entsteht jedoch nur, wenn wir entsprechend kompetent werden, etwa unsere kulturelle Vorläufigkeit akzeptieren und die Potenziale der anwesenden Kulturen zu nutzen bereit sind.

„Ein Theater für alle“
Was das bei der Theaterarbeit bedeuten kann, zeigt Milo Rau in seinem Artikel „Ein Theater für alle“ in der Wochenzeitung vom 5. Februar 2011. Er fordert dort mit spitzer Feder eine „Kunst- und Politikpraxis, die nicht von der Integration Ankommender ausgeht, sondern von der Mitbestimmung aller Anwesenden“. Gerade beim Theaterbetrieb zeige sich, dass in städtischen und staatlich subventionierten Theatern Tradition und Wirklichkeit weit auseinanderklafften. Die AusländerInnen – in St. Gallen zum Beispiel immerhin ein Drittel der Bevölkerung – kämen dort überhaupt nicht zu Wort. Ihre Kultur werde konstant ausgeblendet – oder allenfalls „mit Ehrenmordsoaps“ abgehandelt, mit „gewaltthematisch angereicherten Rapworkshops und auf der GMX-Startseite recherchierten Multikultidebatten“. Ein Drittel der Bevölkerung, in manchen Gemeinden gar die Hälfte, sei somit „politisch nicht mehr repräsentiert und kulturell auf eine geradezu gespenstische Weise auf Klischees reduziert worden“. Es sei doch ganz einfach die Frage, „ob man immer mehr Menschen gegen ihren Willen und gegen die Verfassung in eine Zweiklassengesellschaft und ihre überholten Mythen integrieren oder die Demokratie und mit ihr die reale Schweiz zur Entfaltung bringen will. Ob man gegen oder mit der Bevölkerung Kunst, Theater, Politik machen will.“

Recht hat er. Und er fordert fürs Theater, was man in ähnlicher Weise für den politischen Betrieb fordern muss: Beide Veranstaltungen müssen die Bevölkerung in ihrer Heterogenität abbilden. In beiden Bereichen ist nicht mehr „von Ankommenden und ihrer Integration“ auszugehen, sondern „von den Anwesenden und ihrer Mitbestimmung“.

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Das Theater St. Gallen organisiert vom 20. Mai bis 3. Juni unter der künstlerischen Leitung von Milo Rau zwei Aktionswochen zum Thema „Kunst und Politik im Zeitalter der Interkultur“.[iv]

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Fussnoten:

[i] Siehe dazu: Das Alhambra-Verdikt
[ii] Zitiert nach dem Glossar des Instituts für interkulturelle Kompetenz & Didaktik
[iii] Der Begriff wurde vom US-amerikanischen Soziologen George Ritzer geprägt.
[iv] Siehe dazu die Vorankündigung auf der Webseite des Theaters St. Gallen.

Weiterführende Links:

„Kunst + Politik“

Kunst + Politik ist eine Gruppe von Schweizer KünstlerInnen, die sich mit ihren ureigenen Mitteln, also mit künstlerischen Aktionen und anderen Aktivitäten, in die Realpolitik einmischen und gesellschaftspolitische Themen aufgreifen wollen. Es soll so die Auseinandersetzung „unter Künstlerinnen und Künstlern sowie mit Politikerinnen und Politikern, Medien und der Öffentlichkeit“ gefördert werden. – Eine Würdigung.

Was zunächst recht abstrakt und wie eine von vielen gutgemeinten Absichtserklärungen daherkommt, hat sich in der kurzen Zeit seit der Gründung Mitte 2010 zu einer vielversprechenden Bewegung entwickelt, die bereits mehrfach ins Tagesgeschehen eingegriffen hat – und zwar mit einigem Echo.

„Rettet Basel!“
Als die Basler Zeitung von Tito Tettamanti mit Stumpf und Stiel aufgekauft und einer SVPisierung preisgegeben wurde (hier und hier wurde auf diesem Blog darüber berichtet), lancierte Kunst + Politik einen Aufruf unter dem knalligen Titel „Rettet Basel!„. Innert kürzester Zeit kamen im Internet über 18’000 Unterschriften zusammen, die den Aufruf unterstützten – und damit die Forderung nach einer Tageszeitung in der Region Basel, die von der SVP (Schweizerische Volkspartei) unabhängig sein soll. Es folgten über tausend Abokündigungen, die zumindest zum Teil durch die Aktion „Rettet Basel“ inspiriert waren. Mehr noch: Tito Tettamanti zog sich alsbald von der Basler Zeitung wieder zurück und überliess das Szepter Moritz Suter, einem in Basel und darüber hinaus angesehenen Unternehmer, der die Basler Gemüter beruhigen sollte. Allerdings sind bis heute die wahren Besitzverhältnisse der Öffentlichkeit nicht bekannt, und es ist offensichtlich, dass Moritz Suter hauptsächlich als Beruhigungspille fungiert. Denn der Umbau der Basler Zeitung Richtung Parteiblatt der SVP schreitet munter voran.

Guy Krneta, Schriftsteller und einer der Initianten von Kunst + Politik, organisierte sodann unter dem Titel „Welche Zeitung braucht Basel?“ ein hochkarätiges Podium, das mit künstlerischen Interventionen der Kabarettistin Sibylle Birkenmeier und des Rappers Greis garniert war, ganz nach dem Geschmack von Kunst + Politik – und des Publikums.

Nun, Basel ist zwar noch immer nicht gerettet, die Basler Zeitung nimmt weiter Kurs nach rechts – notabene als Quasi-Monopolblatt in einer rot-grünen Stadt – und eine Alternative ist noch immer nicht in Sicht. Doch es wird zumindest gegen die Vereinseitigung der Medienlandschaft gerungen – und das dank der Gruppe Kunst + Politik zusätzlich mit einem spielerischen, künstlerischen Element.

„Auch ich bin ein verhätschelte Staatskünstler
Als im Entwurf für das neue Parteiprogramm der SVP drei KünstlerInnen als „verhätschelte Staatskünstler“ namentlich erwähnt – um nicht zu sagen: diffamiert – wurden, darunter Pipilotti Rist, wandte sich Kunst + Politik in einem offenen Brief gegen dieses Gebaren. Über hundert prominente KünstlerInnen ersuchten darum, im Parteiprogramm ebenfalls als verhätschelte StaatskünstlerInnen aufgeführt zu werden – ob mit Erfolg, ist nicht bekannt. Ein gewisses Medienecho löste der offene Brief indessen aus.

Seismograph gesellschaftspolitischer Umwälzungen
Kunst + Politik versteht sich als eine Art Seismograph der gesellschaftspolitischen Umwälzungen, die zurzeit vor sich gehen. Im Gründungsmanifest der Gruppe wird ihr Selbstverständnis mit dem Kanarienvogel verglichen, der in früheren Zeiten jeweils von den Kumpeln in die Grubengänge mitgenommen wurde. Sein auffälliges Verhalten sollte die Bergleute vor Gefahren wie etwa dem Erstickungstod warnen.

So reagiert Kunst + Politik „gegen die weitere Vergiftung des sozialen und kulturellen Klimas“ und will gleichzeitig die Debatte um Begriff und Formen der politischen Kunst weiterführen. Die Wärme der Kunst ist bitter nötig in dieser kalten Zeit.

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Zur Webseite Kunst + Politik:

Zum Spannungsfeld Kunst – Politik

„Eindringling“

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Schon immer versuchten Kunst und Politik, aufeinander Einfluss zu nehmen. Die Kunst, indem sie in ihren Werken die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt, die Politik, indem sie der Kunst ihren Stempel aufzudrücken sucht. Ein paar grundsätzliche Überlegungen dazu und ein paar Beispiele.

Kunst und Politik leben in einem Spannungsverhältnis, wie es einseitiger nicht sein könnte. Seit jeher versucht die Politik, der Staat, das künstlerische Schaffen in seinen Dienst zu stellen. Zensur ist nur der grobschlächtigste Ausdruck solcher Bemühungen. Etwas feinsinniger geht es zu bei der Vergabe von staatlichen Geldern an Künstler und ihre Werke.

Affäre Hirschhorn
Die Affäre Hirschhorn ist hierzu ein Lehrstück: Nachdem Thomas Hirschhorn 2004 im Schweizer Kulturzentrum Paris eine provokative Installation zum Schweizer Selbstverständnis ausgestellt hatte (Swiss-Swiss Democracy), finanziert durch die Kulturstiftung Pro Helvetia, einer von der Schweizerischen Eidgenossenschaft alimentierten, aber „unabhängigen“ Subventionsmaschine, kam es zur Debatte im Parlament, worauf die Pro Helvetia mit einer Kürzung der jährlichen Gelder abgestraft wurde.

Doch es gibt auch weniger plakative Beispiele, etwa wenn staatliche Kulturleitbilder neu formuliert werden, zum Beispiel aktuell in Basel: Wenn darin neu zu stehen kommt: „Gefördert wird, was messbare Auswirkungen […] auf das Gemeinwesen hat“, so ist die Instrumentalisierung der Kunst für staatliche Zwecke – hier im Sinne eines Standortmarketings – ganz offensichtlich. (Eine kurze, kritische Würdigung findet sich hier.)

Abbild gesellschaftlicher Widersprüche
Im Zentrum des Interesses soll hier aber die Einflussnahme der Kunst auf die Politik stehen. Dazu zählt zunächst der kritische Blick der Kunst auf die Gegenwart (oder die Vergangenheit). Protestlieder, unzählige Romane, aber auch manche Werke der bildenden Kunst zeugen von dieser kreativen Reflexion gegenüber Politik und Gesellschaft. Oft bilden sie gesellschaftliche Widersprüche ab und regen zum Denken an.

Über ihren unmittelbaren politischen Einfluss auf den Lauf der Dinge kann man sich allerdings streiten. Denn bei vielen Künstlern hat der künstlerische Ausdruck Vorrang vor dem politischen Ziel. Einem allzu pamphletischen Kunstwerk wird deshalb oft das Prädikat „Kunst“ abgesprochen – weil die Kunst grundsätzlich nicht instrumentalisiert werden kann, ohne dass sich das eigentliche Künstlerische zurückzuziehen droht, sich versteckt oder gar ganz verflüchtigt. Das gilt für forciert politische Kunst ebenso wie für forciert kommerzielle Kunst.

Symbol versus politische Veränderung
Es verwundert deshalb wenig, wenn „echte“, aber kritische Kunst von politisch Bewegten oft als bloss dekoratives Element wahrgenommen wird, als Ornament ohne eigentliche politischen Inhalte, nicht selten sogar als elitär. Doch die Kunst kann nicht anders, als (bloss) „symbolisch“ einzugreifen, und stellt sich so der politischen Praxis gegenüber, die ganz konkret verändern will.

Dazwischen liegt ein reiches Experimentierfeld, das in der Vergangenheit ebenso wie heute von vielen KünstlerInnen ausgelotet wurde und wird. Stichworte und Namen aus der Vergangenheit dazu: Dadaismus, Wiener Aktionismus, Joseph Beuys, Hans Haacke.

Als Beispiele für künstlerische Interventionen der Gegenwart im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik seien hier zwei Projekte besonders hervorgehoben: die Künstlergruppe WochenKlausur und das Kunstprojekt „Hacking the City“:

WochenKlausur
Die Künstlergruppe WochenKlausur entwickelt – meist auf Anfrage – kleinere, aber konkret wirksame Projekte mit dem Ziel, gesellschaftspolitische Defizite zu verringern. Diese Vorhaben, zum Beispiel die Gründung einer Gesprächsplattform zur Stadtpolitik in Den Haag, setzt die Künstlergruppe innerhalb eines festen Zeitrahmens auch selber um. Meistens sind das mehrere Wochen Vollzeieinsatz. Daher rührt auch ihr Name. Weitere Beispiele sind der Aufbau eines Programmkinos für MigrantInnen in Limerick, Irland, und die Verbesserung der Schubhaftbedingungen in Salzburg, Österreich. Die Gruppe handelt nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass sich mit Kunst nicht die ganze Welt verändern lässt, sehr wohl aber klar definierte Ziele erreicht werden können, Ziele, die sich womöglich ohne die spezifisch künstlerischen Techniken, angewandt auf das gesellschaftspolitische Ziel, nicht erreichen lassen. Die Webseite der Künstlergruppe sei besonders empfohlen, da sie in prägnanter Form weitere grundsätzliche Überlegungen zum Thema enthält.

Hacking the City
Etwas anders gelagert und doch mit einer ähnlichen Zielsetzung ist das experimentelle Ausstellungsprojekt Hacking the City, das vom 16. Juli bis 26. September 2010 im Museum Folkwang in Hessen stattfand. In einem Projektraum des Museums wurden künstlerische Aktionen und Präsentationen im öffentlichen Raum der Stadt Essen sowie im Internet dokumentiert. Bildende Künstler, Web-Designer, Street-Artisten und Musiker übten mit künstlerischen Mitteln Kritik an Konsumkultur und ihre Werbehoheit, an demokratischer Gleichgültigkeit und der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums der Stadt. Unterschiedlichste Formen des öffentlichen Handelns, der Intervention, werden als kulturelles Hacking verstanden, mit dem Ziel zu irritieren, ja, den „Normalbetrieb“ zu stören. So inszenierte Georg Winter eine „kleine Katastrophe“ in Hessen, indem er ein selbst aufgebautes Holzgebäude zum Einsturz brachte. Und Peter Bux inszenierte mit einigem materiellen Aufwand die Zwangsräumung einer Einzimmerwohnung. Auf einem Blog werden laufend kulturelle Hackings auf der ganzen Welt dokumentiert.

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Beide Kunstprojekte stehen an einem anderen Ort im Spannungsfeld zwischen künstlerischer, also symbolischer, und politischer Praxis, die konkret verändern will. Sie illustrieren auf je eigene Weise die Möglichkeiten der Kunst, das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik ein klein wenig in Richtung Kunst zu verschieben.

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Fotonachweis: discha13, „Eindringling“
CC-Lizenz
Quelle: www.piqs.de