Indien-Tagebuchauszug 15.02.2009

Im Februar und März 2009 war ich sechs Wochen in Südindien: ein äusseres wie inneres Abenteuer, aus dem ich gestärkt und verändert zurückkehrte. Während dieser Zeit entstand ein Reisetagebuch, das hier einsehbar ist – leicht überarbeitet und mit Fotos versehen, die mir zu einem guten Teil von Laurent Quere zur Verfügung gestellt wurden. Herzlichen Dank!

Einzelne Ausschnitte des Tagebuchs werden in lockerer Folge als Schmankerl auf der Hauptseite veröffentlicht:

Indem ich im Buch „Sri Aurobindo und Mutter“ von Kireet Joshi lese, dringe ich in eine unglaubliche Welt von geistigen Ereignissen und Zusammenhängen ein. Meine eigenen Bemühungen und Erkenntnisse erscheinen mir geradezu stümperhaft angesichts der überaus grossen Komplexität und der Notwendigkeit, sich mit diesen geistigen Zusammenhängen zu verbinden, damit die Erde mitsamt ihren Bewohnern aus dem Griff des Materialismus befreit werden können. Und es wächst in mir das Bedürfnis und die Einsicht in die Notwendigkeit, diese Bemühungen auszuweiten und vermehrt die Verbindung zur geistigen Welt zu suchen. Dass das eher der anthroposophische Erkenntnisweg ist als der Yogaweg, wie er hier in Auroville gepflegt wird, steht ganz klar vor meinen Augen. Trotzdem kann ich erkenntnismässig von diesem einiges gewinnen. Verlockend ist es, auch bezüglich Erfahrung (übersinnlicher Art) in den Yoga einzutauchen. Mein Herz lechzt geradezu nach solchen Erfahrungen, habe ich mich bis jetzt doch vornehmlich mit dem Erkennen und Verstehen des Übersinnlichen befasst (im Yoga mit Mental bezeichnet).

Es ist mir bewusst, dass es nicht förderlich ist, nach übersinnlichen Erfahrungen zu lechzen. Jegliche Erwartung in diese Richtung führt in die Irre, da damit notgedrungen falsche Vorstellungen über das Übersinnliche verbunden sind. Ferner muss ich in mir den Boden für solche Erfahrungen vorbereiten, und da stehe ich trotz aller vergangenen, eher unsystematischen Bemühungen erst ganz am Anfang. Der anthroposophische Schulungsweg erscheint mir nüchterner, vielleicht auch trockener als der Yogaweg, bestimmt aber ist der eine nicht einfacher und leichter als der andere. Beide erfordern besondere Anstrengungen und Beharrlichkeit. Und beide sind fruchtbar. Eine Frage ist mir noch, wie bedingungslos die Hingabe sein muss: Während sich der anthroposophische Weg mit meinem bisherigen Leben sehr wohl verbinden lässt – verknüpft allerdings mit einigen grundlegenden Änderungen meiner Gewohnheiten –, scheint mir der Yogaweg auf ein grundsätzlich anderes Leben abzuzielen. Allerdings wird wohl der anthroposophische Weg, konsequent ergriffen, nicht weniger umwälzend sein. Vielleicht ist es das, was mich bisher davon abgehalten hat, bin ich doch mit meinem Leben wie es ist, recht zufrieden und sehe ich doch – subjektiv betrachtet – keine Notwendigkeit, es grundlegend zu ändern. Doch dies ist zweifellos mein Ego, das sich nicht aus der Trägheit und Behaglichkeit des sinnlichen Seins aufschrecken lassen möchte. Ich habe mich gut eingerichtet in meinem Leben, vieles Äusserliche und selbst vieles Innerliche ist in einer gewissen Harmonie, in einem Gleichgewicht. Und trotzdem bezahle ich dafür einen Preis: Anpassung an die Umstände – manchmal wider besseres Wissen, Investition eines guten Teils der Lebenskräfte in die Bewältigung des Lebensalltags, Verblassen meiner Werte und Ideale (nicht aber deren Verrat), Erschöpfen meiner Lebendigkeit.

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Indien-Tagebuchauszug 28.02.2009

Im Februar und März 2009 war ich sechs Wochen in Südindien: ein äusseres wie inneres Abenteuer, aus dem ich gestärkt und verändert zurückkehrte. Während dieser Zeit entstand ein Reisetagebuch, das hier einsehbar ist – leicht überarbeitet und mit Fotos versehen, die mir zu einem guten Teil von Laurent Quere zur Verfügung gestellt wurden. Herzlichen Dank!

Einzelne Ausschnitte des Tagebuchs werden in lockerer Folge als Schmankerl auf der Hauptseite veröffentlicht:

Dhansu, ein Wächter in der Nähe des Matrimandir, hat mich gestern zu einem Vishnu-Tempel ausserhalb von Kottakarai an der äussersten Peripherie von Auroville geführt. Hier ist das Land offener, und es gibt mehrere Tempel und einzelne Reisfelder. Eine recht grosse, von einer Mauer umfriedete Fläche bildet der Tempelbezirk. Vor dem Eingang in den inneren Tempelbereich haben drei Frauen ihre Tischchen aufgestellt und verkaufen für ein paar Rupien Blumengirlanden, Wachslämpchen sowie Bananen und Kokosnüsse. Nach dem Kauf einiger dieser Devotionalien sind wir über mehrere Stufen in den inneren Bezirk und in den Tempel gelangt. Die Wände und die Decke sind vollständig mit reliefartigem Messing ausgeschlagen, wirklich vollständig, und es war sehr, sehr warm. Der Priester, ein fester Mann mit entblösstem Oberkörper nahm die Devotionalien entgegen und legte sie auf ein Messingtablett, auf dessen Rand eine Flamme loderte. Nachdem er mich nach Frau und Kindern gefragt hatte, ging er mit dem Tablett singend durch eine Kammer in das eigentliche Heiligtum und legte dort meine Darreichungen über und vor eine Art Statue oder aufrechten, bemalten Stein, an dem ich nichts Figürliches erkennen konnte. Heute weiss ich, dass es eine Stele, ein Lingam war, der Krishna repräsentiert.

Nach einer Weile brachte er mir die derart gesegneten Sachen zurück, hing mir die Girlande aus Jasminblüten um, spaltete die Kokosnuss auf – die Milch schüttete er in einen grossen Messingtopf – und machte mir mit einem weissen und einem roten, ziemlich fetten Pulver ein Zeichen oberhalb der Nasenwurzel. Die Früchte händigte er mir aus, ebenso ein wenig von beiden Pulvern, in Zeitungspapier verpackt. Derart gestärkt ging es auf den Rückweg.

Fast noch mehr beeindruckt hat mich, mit welcher Ängstlichkeit sich Dhansu, mein Begleiter, um mich gekümmert hat. „I have fear“, hat er auf dem Weg immer wieder gesagt und ist meistens mit seinem Fahrrad fast in der Mitte der Strasse gefahren, damit mir ja niemand zu nahe käme. Auf der Treppe kippte diese Ängstlichkeit beinahe in Entsetzen um, und ich spürte hinter mir ein schlotterndes, keuchendes Männlein. Nachdem ich ihn derart kennengelernt habe, dünkt mich sein Gesichtsausdruck sprechend, indem sich darin gewissermassen das Entsetzen, die Angst bereits eingegraben hat. Das Weiss seiner Augen ist stark bräunlich verfärbt, und offenbar hat er auch, vor allem nachts, Sehprobleme.

* * *

Heute Morgen um vier Uhr aufgestanden, um an der Geburtstagszeremonie von Auroville im Amphitheater teilzunehmen. Etwa vierhundert Teilnehmende hatten sich noch in der Nacht versammelt, um in meditativer Stimmung, aber unter Ausschluss von religiösen Ritualen die Morgendämmerung zu erleben. Dazu brannte ein Feuer in Mitten einer grossen Rosette, einem Mandala aus weissen Blüten. Der ganze innere Bereich um die Urne war mit weissen Blüten geschmückt. Später ertönten Originalaufnahmen der Mutter, hinterlegt mit süsslicher Musik, danach auch die Charta von Auroville, von ihr in französischer Sprache gelesen. Hinzu kamen Übersetzungen ins Englisch, Hindi und Tamilisch. Das Erlebnis war sehr schön und stimmungsvoll, auch weil so viele unterschiedliche Menschen aus der ganzen Welt versammelt waren.

Stimmungsbild vor Sonnenaufgang an der Feier zum Geburtstag von Auroville

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Indien-Tagebuchauszug 05.03.2009

Im Februar und März 2009 war ich sechs Wochen in Südindien: ein äusseres wie inneres Abenteuer, aus dem ich gestärkt und verändert zurückkehrte. Während dieser Zeit entstand ein Reisetagebuch, das hier einsehbar ist – leicht überarbeitet und mit Fotos versehen, die mir zu einem guten Teil von Laurent Quere zur Verfügung gestellt wurden. Herzlichen Dank!

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Thanjavur, 05.03.09

Real India – schön und hässlich zugleich! Das dunkle Indien mit seiner weit verbreiteten Armut und seinem bedrückenden Elend ist Sklave der materiellen Versorgung: Nahrung, Unterkunft und Arbeit. Das heisst, ein guter Teil der Menschen lebt in prekären Verhältnissen bis hin zur bittersten Armut und muss den Hauptteil seines Strebens dem Nahrungserwerb opfern. Das dunkle Indien ist anstrengend. Sein Chaos, sein Lärm, sein Gestank – alles dringt in mich ein, berührt, ja beeinträchtigt mich. Es fällt mir schwer, mich davon abzugrenzen. Ich möchte das eigentlich auch nicht. Denn um mich von Indien ergreifen zu lassen, bin ich ja hier. Trotzdem, was mache ich mit den vielen Bettlern, mit der jungen Mutter am Strassenrand, die ihr Kind schlägt, und zwar kräftig? Was mache ich mit den vielen Menschen, die mir ihr Zeug verkaufen wollen, das ich doch nicht brauche? Heute habe ich mich geradezu gezwungen gefühlt, eine Statue zu kaufen. Sie ist bestimmt schön und auch wertvoll. Aber als ich aus dem Laden heraus kam, war ich nicht glücklich, sondern wütend – das erste Mal seit langem.

Dunkel erscheint mir Indien auch wegen seiner uralten Kultur und Religion. Es werden die alten Götter in alten Tempeln angebetet. Hätte ich Auroville nicht kennengelernt, ich hätte den Eindruck, Indien sei stehen geblieben. Nicht dass ich die westliche Moderne als besonders erstrebenswert empfinde – aber ich sehe ausserhalb von Auroville nur wenig Zukunftswille, eher eine Art Flucht in die Vergangenheit. Ich sehe allerdings hier auch ein Dilemma. Denn wo anders soll Indien mit seinem Prekariat in den Zeiten der Globalisierung auch hinstreben als in Richtung westlicher materieller Kultur?

Und das helle Indien – gibt es das auch? Da ist zunächst die aus der Not geborene Bescheidenheit der Menschen und ihre Freundlichkeit. Überall – auch ausserhalb von Auroville – begegnet dir ein Lächeln, wann immer du in die Gesichter schaust. Etwas Kindliches, dir Zugewandtes blickt aus diesen Gesichtern. Da ist auch das trotz seiner Grösse einigermassen funktionierende Indien, das seinen Menschen ein wenn auch prekäres Auskommen bietet. Bei der allgegenwärtigen Religiosität bin ich mir nicht mehr sicher, wie ich sie bewerten soll. Meine Vorstellung vom spirituellen Indien muss ich revidieren. Der Hinduismus in seiner weit verbreiteten Form ist in Bezug auf den spirituellen Gehalt wohl nicht anders als der Katholizismus oder jede andere institutionalisierte Religion. Trotzdem spricht aus ihm ein spiritueller Gehalt, eine Vielfalt an spirituellen Themen, die ihresgleichen sucht, aber nicht leicht erschlossen werden kann und für den heutigen Menschen eher okkult vorhanden ist.

Die Menschen Indiens – ein Bilderbogen

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Indien-Tagebuchauszug 02.03.2009

Im Februar und März 2009 war ich sechs Wochen in Südindien: ein äusseres wie inneres Abenteuer, aus dem ich gestärkt und verändert zurückkehrte. Während dieser Zeit entstand ein Reisetagebuch, das hier einsehbar ist – leicht überarbeitet und mit Fotos versehen, die mir zu einem guten Teil von Laurent Quere zur Verfügung gestellt wurden. Herzlichen Dank!

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Heute Morgen den Matrimandir besucht. Auf einer weissen Sänfte wurde ich von vier Männern in den zentralen Meditationsraum („the inner chamber“) getragen – durch das surreal wirkende Innere des Matrimandir. Ich habe eine Art Ehrerbietung erfahren wie noch nie in meinem Leben. Die runde (vieleckige) Meditationshalle misst etwa zwanzig Meter im Durchmesser, vielleicht auch mehr, und ist ganz in Weiss gehalten respektive crèmefarben. Darüber eine Kuppel, durch die am Zenit ein durch eine Glaslinse gebündelter Sonnenstrahl senkrecht herunterfällt. Auf einem Metallgestell mit Davidssternsymbolen am Boden steht eine Glaskugel (Ø = 70 cm), die diesen Sonnenstrahl auffängt beziehungsweise weiter nach unten leitet, durch den ganzen Baukörper des Matrimandir hindurch, also durch die ganze leicht abgeflachte Kugel, die die Aussenhülle darstellt. Unter dieser Kugel befindet sich eine Art Teich, leicht trichterförmig gebaut und mit Lotusblütenblätter aus Marmor belegt, die wie Dachziegel angeordnet sind. Und über diese Lotusblätter gleitet von der Peripherie her eine dünne Schicht Wasser bis zum Zentrum. Dort steht wieder eine, aber deutlich kleinere Glaskugel, auf die der Sonnenstrahl letztlich trifft.

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Schematische Darstellung des Heliostats (näheres dazu in Englisch)

Der zentrale Meditationsraum ist angenehm kühl, und es herrscht trotz der etwa fünfzig Meditierenden (oder gerade deswegen), eine hochkonzentrierte Stille. Der Aufenthalt an diesem Ort hat mich in hohem Masse beseelt. Erfüllt mit einer grossen Freude kam ich wieder hinaus, verändert und gestärkt. Es ist, wie wenn an mich ein Ruf gegangen wäre – und zwar ganz konkret –, dem Transzendenten zu dienen, das Schöne, Wahre und Gute zu befördern, wo immer ich kann. Ein besonderes Erlebnis bei völlig klarem Bewusstsein …

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Indien-Tagebuchauszug 27.02.09

Im Februar und März 2009 war ich sechs Wochen in Südindien: ein äusseres wie inneres Abenteuer, aus dem ich gestärkt und verändert zurückkehrte. Während dieser Zeit entstand ein Reisetagebuch, das hier einsehbar ist – leicht überarbeitet und mit Fotos versehen, die mir zu einem guten Teil von Laurent Quere zur Verfügung gestellt wurden. Herzlichen Dank!

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27.02.09

Bald ist die Hälfte meines Aufenthaltes in Auroville vorbei. Die Zeit vergeht schnell. Und sie stellt für mich ein vielschichtiges Erlebnis dar. Da ist zunächst Auroville, die utopische Stadt, der ich durch Begegnungen und Veranstaltungen immer näher komme, ihre Widersprüche und unverbrauchten Ambitionen immer besser kennenlerne. Da ist Indien, dem ich am Rande von Auroville, in den Dörfern (und in Pondicherry) begegne – natürlich auch in seiner bedrückenden Armut, seiner Schmutzigkeit, seinem Chaos. Aber auch das mystische Indien, der Bilderreichtum seiner Götter – der für mich zuweilen fast etwas Comicartiges hat mit den überzeichneten Figuren, die sich in einem meist dramatischen Geschehen befinden –, auch das uralte Indien begegnet mir.

Üppige Bilder, wohin man schaut


Da ist weiter das innere Abenteuer, in dem ich mich befinde, mit den Seelenübungen, die immer mehr zu meinem Alltag gehören, und den Meditationen, die mir ganz subtil neue Seelenräume eröffnen – und manchmal überhaupt nicht gelingen. Und da ist schliesslich das soziale Abenteuer, das sich dadurch ergibt, dass ich alleine unterwegs bin – eine Herausforderung auch das, der ich manchmal ausweiche und manchmal genüge. Dieses vielschichtige Abenteuer berührt mich ausserordentlich, ergreift mich ganz, verwandelt mich.

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