Raus aus der industriellen Nutztierhaltung!

Am 25. September stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Initiative gegen Massentierhaltung ab. Sie fordert ein Ende der industriellen Tierproduktion, indem verschiedene Massnahmen zugunsten des Tierwohls gesetzlich verankert und umgesetzt werden – dazu später – und nur noch Importe tierischer Produkte erlaubt sind, die diesen Tierschutzstandards entsprechen. – Eine persönliche Einschätzung.

Ich bin kein Vegetarier und auch kein Veganer. Trotzdem störe ich mich seit langem am industriellen Umgang mit Nutztieren. Ich empfinde ihn als ethisch falsch, als eine Haltung gegenüber den Tieren, die zwischen Unachtsamkeit und Verbrechen anzusiedeln ist. Wohlverstanden: Nicht dass Tiere sterben müssen für die Ernährung des Menschen, ist für mich ein Unding. Es ist die schiere Masse und die Selbstverständlichkeit der industriellen Fleischproduktion, die mir zuwider ist.

Und doch kann ich mich als Flexitarier nicht aus der Verantwortung stehlen, selbst wenn ich sehr zurückhaltend Fleisch esse und in der Regel dessen Herkunft kennen will – und die Lebens- und Sterbensbedingungen des Tieres. Die Annahme der Initiative gegen die Massentierhaltung würde mein Gewissen wesentlich entlasten, weil ihre Umsetzung deutliche Verbesserung des Tierwohls und eine Begrenzung der Tiergruppengrösse im Stall bringen würde.

Die Forderungen im Einzelnen:

  1. Tierfreundliche Unterbringung und Pflege
    Die meisten Tiere in der Landwirtschaft verbringen den Grossteil ihres Lebens auf Betonböden und haben kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Initiative fordert, dass alle Tiere bedürfnisgerecht leben können.
    – mehr Platz pro Tier
    – Einstreu für alle Tiere
    – Möglichkeiten zum Spielen
    – artgerechte Fütterung
  2. Zugang ins Freie
    Nur 12 Prozent der Tiere haben regelmässigen Auslauf. Die Initiative fordert für alle Tiere täglichen Zugang ins Freie. Damit sie überhaupt davon profitieren können, müssen weniger überzüchtete Rassen eingesetzt werden.
    – täglicher Weidezugang
    – langsamer wachsende Rassen
  3. Schonende Schlachtung
    Am Schluss ihres Lebens werden Tiere unter massivem Stress transportiert und vor der Schlachtung mit fehleranfälligen Methoden betäubt. Die Initiative fordert Schlachtmethoden, bei denen die Vermeidung von Leid oberste Priorität hat.
    – kurze Transportwege
    – bessere Kontrolle des Betäubungsvorgangs
    – schonende Schlachtmethoden
  4. Maximale Gruppengrösse je Stall
    Bis zu 27’000 Hühner oder 1’500 Schweine dürfen in einer Halle gehalten werden. Die Betreuung einzelner Tiere ist praktisch unmöglich. Viele sterben unbemerkt. Die Initiative fordert eine starke Reduktion der Gruppengrössen.
    – kleinere Gruppen
    – weniger Tiere pro Hektar Weidefläche
  5. Importvorschriften
    Schweizer Bäuerinnen und Bauern stehen im Wettbewerb mit ausländischen Betrieben, die sich nicht ums Tierwohl kümmern. Die Initiative fordert, dass importierte Tierprodukte den neuen Schweizer Standards entsprechen.
    – kein Import von Tieren und Tierprodukten, die nach in der Schweiz verbotenen Produktionsmethoden erzeugt wurden

Die Haltung von Nutztieren müsste somit mindestens den Richtlinien von Bio-Suisse entsprechen. Gemäss Folgenabschätzung des Bundes wären etwa 3’000 industrielle Grossbetriebe von Anpassungen betroffen, weniger aber kleinbäuerliche Betriebe. Die Grossbetriebe müssten ihre Stallungen umbauen. Deshalb wird ihnen eine Übergangsfrist von 25 Jahren gewährt, was etwa einem Generationenwechsel entspricht.

Gegenargumente

All die vorgeschlagenen Massnahmen rufen heftigen Widerstand seitens der Bauernschaft hervor, vorwiegend der Grossbauern, aber auch der Nahrungsmittelindustrie und der Futtermittelverbände. Ihre wichtigsten Argumente:

  • Die Initiative sei überflüssig, da es auf dem Markt Tierprodukte nach den entsprechenden Standards (Bio- und Tierwohllabels) bereits gebe. Der Konsument könne schon heute frei wählen, ob er solche Produkte kaufen wolle oder nicht. Mit der Initiative würde die Wahlfreiheit der KonsumentInnen wegfallen.
    Dem ist entgegenzuhalten: Fleisch mit Label wird wegen der Preispolitik der Grossverteiler teuer, ja mit ungerechtfertigt hohem Zuschlag verkauft und ist somit ein Luxusprodukt. Über die vermeintliche Wahlfreiheit verfügen nur die, die es sich leisten können. Zudem zielen die Massnahmen auf den gesamten Nutztierbestand in der Schweiz, nicht nur auf die Haltung mit Bio- oder Tierwohllabel.
  • Es gebe gar keine systematische Verletzung des Tierwohls in der Schweiz, da hier bereits die weltweit strengsten Tierschutzgesetze gälten.
    Dem ist entgegenzuhalten: Die Tatsachen sprechen leider eine andere Sprache: So dürfen etwa Nutztiere trotz «strengstem» Tierschutzgesetz ein Leben lang drinnen gehalten werden. Nur 12 Prozent aller Nutztiere in der Schweiz stehen je auf einer Weide. Ein anderes Beispiel: In der EU sind in der konventionellen Schweinehaltung 0,75 Quadratmeter vorgesehen. In der Schweiz sind es gerade mal 0,9 Quadratmeter. Was für ein Unterschied!
  • Die Konsumentenpreise würden deutlich höher.
    Dem ist entgegenzuhalten: Laut Schätzungen des Bundes würden die Tierprodukte 5 bis 20 Prozent teurer. Bedenkt man, dass rund ein Drittel der Lebensmittel fortgeworfen wird, ist bei teureren Lebensmitteln mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen.

Aber ja, die zu erwartende Verteuerung der Tierprodukte in der Schweiz wird wohl der Stolperstein für die Initiative gegen Massentierhaltung sein. Schlechte Zeiten für die Moral! Zuerst kommt das Fressen!

Vegetarier dagegen, Veganerinnen dafür

Dezidierte Gegnerin der Initiative ist interessanterweise auch Swissveg, die Schweizer Vereinigung der Vegetarier. Nach ihr geht die Initiative zu wenig weit und zementiert, falls sie angenommen würde, unhaltbare Zustände bei der Nutztierhaltung auf lange Sicht. Sie schade dem Tierschutz in der Landwirtschaft eher, als dass sie nütze. Denn ob die Initiative nun angenommen würde oder nicht: Danach könnten sich alle in der Illusion wiegen, es gäbe in der Schweiz keine Massentierhaltung. Doch dem sei nicht so. Die Initiative strebe entgegen ihrem Anspruch eben gerade nicht die Abschaffung der Massentierhaltung an, sondern nur deren Begrenzung.

Die Argumentation von Swissveg hat etwas für sich und lässt sich nicht einfach vom Tisch wischen. Trotzdem frage ich mich, ob es nicht sinnvoller ist, einen Schritt in die richtige Richtung zu tun – weg von der industriellen Nutztierhaltung, wie es meines Erachtens die Initiative vorschlägt –, als mit Maximalforderungen herumzufuchteln, die gesellschaftspolitisch bis auf weiteres sowieso keine Chance haben.

Pragmatischer gibt sich die Vegane Gesellschaft Schweiz. Sie sieht die Verbesserung der Lebensbedingungen unserer «Nutz»tiere – so ihre Schreibweise – als wichtigen Schritt. Die Tierwürde wird durch eine Annahme der Initiative auf Verfassungsebene gestärkt. Und durch die Verteuerung der Tierprodukte würden tierfreundliche, vegane Produkte attraktiver.

Ich werde auch ein klares Ja einlegen – nicht nur wegen meines schlechten Gewissens.

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Quellen:

Comments

  1. Das sind so schreckliche Bilder;(

  2. Vielen Dank für die klare Positionierung. Ja, genauso pragmatisch würde ich es auch sehen. Ich wünsche der Initiative viel Erfolg – würde mich allerdings wundern, wenn sich eine Mehrheit für die Umsetzung der Forderungen ausspricht. In Deutschland gibt es zwar vielfältige Bemühungen um verbesserte Tierhaltung, aber die mächtige Lobby der Bauernverbände und fleischverarbeitenden Industrie konnte bisher alles verhindern. Mal sehen, ob der grüne Minister Cem Özdemir etwas verändern kann. Zu wünschen wäre es.

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