Nachdem mir die Worte ausgegangen sind

Doch, ich lebe noch. Einzig die Worte sind mir ausgegangen, wie ich einst in ahnungsvoller Voraussicht in einem meiner Kurzprosatexte geschrieben habe:

Bevor mir die Worte ausgehen, bevor mich die Sätze im Stich lassen und die Buchstaben vor meinen Augen ertrinken, lausche ich fieberhaft in mein Inneres, schaufle Bedeutung aufs Papier und zerschneide Fadenscheiniges zu Ausgangsmaterial neuer Sinnstiftung. (…)

Zusätzliche Wirkmacht bekamen diese Worte bestimmt, als ich sie zum Titel meines letzten Buches erkor, nicht ahnend, wie lange es dauern würde, bis sie wieder zu mir kämen, die Worte. Wobei – so richtig im Stich gelassen haben sie mich nie. Vielmehr haben sie mit mir Katz und Maus gespielt, sind aufgetaucht, wo ich sie nicht erwartet hatte, haben sich mir entzogen, wo ich sie zu fassen versuchte. So ging das über Wochen und Monate.

Dann gab ich auf. Was soll ich mich mit Worten herumbalgen, während draussen Kriege herrschen, der Planet vor die Hunde geht und die Barbarei in ihrer ganzen Vielfalt zu uns zurückkehrt? Lieber verstumme ich. Es ist alles gesagt. Nichts ist mehr beizufügen.

Doch um das Schreiben nicht ganz zu lassen – wie könnte ich? –, begann ich die Morgenseiten zu schreiben, möglichst jeden Morgen eine halbe Stunde ohne Absicht und Ziel, ohne Sinn und Zweck. Inzwischen ist so viel Text zusammengekommen, dass ich locker einen Schmöker drucken lassen könnte. Oder deren zwei. – Keine Angst! Das wird nicht geschehen. Das ist das Befreiende an den Morgenseiten: dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Kleiner Nebeneffekt: Die Worte sind zurückgekehrt, spielen nicht mehr Maus, ich nicht mehr Katz. Ich bin also wieder glücklicher Besitzer von Worten, die ich verschleudern kann, ohne dass sie mir bald wieder ausgehen. So jedenfalls die Hoffnung.

Et voilà! Ich melde mich gehorsamst zurück.