Ernährungssouveränität vs. Agrarfreihandel

Die industrielle Landwirtschaft, die mit dem Agrarfreihandel einhergeht, führt eindeutig in eine Sackgasse. Sie missachtet die Würde von Pflanzen und Tieren, ja, der Erde als ganzes. Sie beutet aus, statt zu pflegen. Sie missbraucht und zerstört. Und im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung der Landwirtschaft wird ein paar wenigen Firmen und Grossgrundbesitzern zugeschlagen, was der ganzen Menschheit gehört: die Natur. Das politische Konzept der Ernährungssouveränität will da Gegensteuer geben.

Befürworter der hochtechnisierten Landwirtschaft, der sogenannten grünen Revolution in den Ländern des Südens, argumentieren, ohne die damit verbundene Leistungssteigerung könne die Menschheit gar nicht mehr ernährt werden. Doch diese Aussage streut uns gleich in zweifacher Weise Sand in die Augen: Sie suggeriert zunächst, die Förderer der industriellen Landwirtschaft handelten aus selbstlosen, womöglich gar humanitären Motiven. Ferner lässt sie uns im Glauben, das Welthungerproblem sei darauf zurückzuführen, dass es – global gesehen – zu wenig Nahrungsmittel gebe.

Industrielle Landwirtschaft …

Agrarindustrie verdrängt Kleinbauern
Beides ist nachweislich falsch. Ja, die industrialisierte Landwirtschaft und die damit verbundene Liberalisierung des Agrarhandels sind im Gegenteil eine der Ursachen für chronische Ernährungskrisen in manchen Weltgegenden.[1] Die Agrarindustrie verdrängt radikal die kleinräumige Landwirtschaft – entweder physisch oder über ihre konkurrenzlosen, teils über Subventionen zusätzlich verbilligten Preise – und stösst weltweit Millionen von Kleinbauern in den Ruin. Auch ökologisch ist sie mit ihren Monokulturen eine reine Katastrophe. Und sie schafft unnötige Abhängigkeiten von globalisierten Nahrungsmittel- und Saatgutmärkten – und liefert so insbesondere die ärmere Bevölkerung den damit verbundenen Spekulationen aus.[2]

Ernährungssouveränität als emanzipatorisches Projekt
Das Konzept der Ernährungssouveränität möchte die Entscheidungsgewalt über die Landwirtschaftspolitik dem Welthandel und seinen Organisationen wieder entreissen und den einzelnen Ländern und Regionen, ja, letztlich dem Individuum zurückgeben. Ernährungssouveränität ist das Recht der einzelnen Menschen, der Gemeinschaften, Völker und Staaten, auf demokratische Weise ihre eigene Landwirtschafts- und Ernährungspolitik festzulegen. Sie beinhaltet sowohl das Recht auf Nahrung wie das Recht, Nahrungsmittel zu produzieren. Das Konzept gilt grundsätzlich für arme und reiche Länder und ist nicht als Patentrezept und politischer Werkzeugkasten gedacht. Trotzdem enthält es Prinzipien und Strategien, die in aller Kürze so charakterisiert werden können[3]:

  • Fokus auf lokale Märkte und gerechte Handelsbeziehungen
  • gesicherter Zugang zu den natürlichen und genetischen Ressourcen, zu Krediten und Bildung für alle LebensmittelproduzentInnen
  • Umstellung auf ökologische, vielfältige, bäuerliche Produktion, was sich auch in der Agrarforschung niederschlagen muss.
  • Das Menschenrecht auf Nahrung hat Priorität vor anderen bi- oder multilateralen Abkommen.

Als erste hat die internationale Kleinbauern- und Landlosenorganisation Via Campesina, ein Zusammenschluss von mehr als hundert Kleinbauern-, Landarbeiter-, Landlosen- und Indigenenorganisationen aus Europa, Amerika, Afrika und Asien, das Konzept geprägt. Das ist nun 15 Jahre her, und inzwischen ist die Idee flügge geworden und beeinflusst Entscheidungen zum Beispiel auch in UNO-Gremien. Und dabei steht die Ernährungssouveränität deutlich dem Begriff der Ernährungssicherheit entgegen, erweitert diesen um eine entscheidende Dimension: um die Dimension der Emanzipation, der Selbstermächtigung der Menschen, die wieder die Kontrolle über die Produktion und Vermarktung der Nahrungsmittel zurückgewinnen.

… vs. kleinräumige Landwirtschaft

Was Ernährungssouveränität nicht ist
Ernährungssouveränität ist allerdings nicht mit Selbstversorgung gleichzusetzen. Vielmehr geht es darum, selbstbestimmt zu entscheiden, wie viel Handel und wie viel Selbstversorgung für die jeweilige Region sinnvoll sind. Ernährungssouveränität ist auch kein nationalistisches Konzept, um Märkte und Gesellschaften abzuschotten. Sie basiert auf internationaler Solidarität unter den BäuerInnen und auf den Erkenntnissen und Erfahrungen, die mit dem internationalen und liberalisierten Handel gewonnen wurden. Die lokalen Beziehungen, besonders zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen, sollen gestärkt werden, damit diese den globalen Herausforderungen begegnen können. Der überregionale, ja internationale Handel mit Lebensmitteln kann als zusätzliche Möglichkeit durchaus ins Auge gefasst werden. Manche Regionen, wenn man zum Beispiel an Wüsten denkt, sind gar auf diesen überregionalen Handel angewiesen. Doch auch dieser Handel muss gerechten Bedingungen unterliegen und den BäuerInnen ein faires Einkommen sichern.

Eine regionale, kleinräumige Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln ist unter vielen Gesichtspunkten deutlich sinnvoller als eine von aussen aufgenötigte Versorgung durch die Agrarweltkonzerne. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass nicht nur der Weltagrarbericht 2008, sondern ebenso der UNO-Klimabericht 2007 ohne Wenn und Aber für die kleinräumige Landwirtschaft eine Lanze brechen. Diese gibt nicht nur wirtschaftlich mehr Sinn, sondern ist auch ökologisch verantwortungsvoller.


[1] Siehe dazu: http://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichtes/baeuerliche-und-industrielle-landwirtschaft.html.
[2] Siehe zum Beispiel „FAO will Spekulation mit Lebensmitteln bekämpfen“ auf tagesschau.de ((Link nicht mehr verfügbar))
[3] Gemäss dem Positionspapier von Swissaid zum Konzept der Ernährungssouveränität (PDF, 52 KB).

Bilder (CC-Lizenz) via Flickr: oben links tpmartins; unten rechts pfatter

Comments

  1. cristiano safado says:

    Wir vergessen sehr oft, dass sich auch die Schweiz durch die vielen internationalen Abkommen in eine Ernährungsabhängigkeit zu Lasten der Kleinbauern gebracht hat und je länger je mehr bringt ( jährlich verschwinden immer mehr Bauernhöfe). Daran wird die vorgesehene neue Raumordnung nichts ändern, solange wir wegen des Preises Produkte aus dem Ausland beziehen, die hier nur teurer angebaut/hergestellt werden können. Dies wird uns eines Tages noch in existentielle Nöte bringen. (Vor einigen Jahrzehnten war da unsere Politik noch viel vernünftiger. Stichworte: Pflichtlager, Kriegswirtschaf).

    • Das ist richtig, cristiano. Und wir stehen in der Schweiz ja am Anfang einer weiteren geplanten Liberalisierungswelle – auch in der Landwirtschaft. Stichwort dazu: Bilaterale III.

  2. madurskli says:

    Bundesagrarministerium will Agrarrohstoffhandel einschränken und provoziert so Hungersnöte!

    Unter diesem Titel kursiert zur Zeit ein Artikel im Netz.
    Der unbedarfte Laie liesst da nichts von negativen Seiten der Spekulation und Raubtierkapitalismus.
    Was Ralph Bärligea von der Partei der Vernunft über freie Marktwirtschaft ausführt ist nichts als ein Rechtfertigungsversuch, den gemachten Hunger und den Raubtierkapitalismus schön zu Reden!

    Ja freier Handel und Freiheit sind schöne Gedanken nur leider sehr Utopisch.
    Vorläufig bloss ein FREIbrief, eine unbarmherzige Ausblutungsmaschinerie in Gang zu halten. Welche schon im Mittelalter wie geschmiert lief als die grossen Handelsdynastien, Fucker (Borgia, Fugger, Medici) und Konsorten ihren Reibach machten. Mit dem beliefern der Eliten!
    Feinste Seide und Harz, Gewürze, Salz und Weizen,Pelze, Elfenbein.
    Schon damals wurden auf diese Güter Monopole errichtet und bis heute verfeinert und ausgebaut.
    Der grösste Teil der Menschheit hatte schon damals die FREIHEIT Begehrlichkeiten zu entwickeln.
    Nur leider kein Geld. Das ja irgendwie den Weg zu ihren Herren finden musste.
    Der sog. WARENTAUSCH bestand oft aus grotesken Formen.
    Zb. „Tausche Glasperlen gegen Gold“.
    Wer glaubt dass das heute anders ist, darf auch ruhig an den Osterhasen glauben.
    Hunger wird gemacht…
    10% des Hungers wird durch Katastrophen ausgelöst, aber bei 90% des weltweiten Hungers handelt es sich um chronischen Hunger, verursacht durch Freihandel, freie Spekulation mit Grundnahrungsmitteln und falsche Agrarpolitik.

    Ich hätte mit meinen Überlegungen auch schon in den Zeiten der Kolonialmassaker beginnen können!

    Wo schriftlosen Völkern, mörderisch klar gemacht wurde WEM nun ihre Heimat gehört!!!
    Unter vorgehaltenem Kreuz oder Waffe wurden auch gleich Begriffe wie, BESITZ UND EIGENTUM neu erklärt!!!

    Aus diesen Raubzügen entwickelte sich schliesslich das angesehene Wort:
    „Kolonialware“
    So wie die entsprechenden Läden.

    Wer weiterlesen möchte:
    ((Link nicht mehr verfügbar))

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