Graçias a la vida – Danke dir, Leben!

Wandgemälde der Charrango spielenden Violeta Parra in Santiage de Chile.

Ist es ein Liebeslied, ein Abschiedslied, eine Hymne ans Leben? Violeta Parras Lied «Graçias a la vida» ist alles zugleich. Vielleicht deshalb ging es um die Welt und wird bis heute gesungen und neu interpretiert. Die chilenische Sängerin schrieb es kurz vor ihrem selbstgewählten Tod im Jahr 1967. Sie hinterliess ein Vielzahl Lieder voller Poesie und oft auch Melancholie, meist in Verbindung mit Liebesleid, darunter eben «Graçias a la vida».

Poesie zu übersetzen ist immer eine Gratwanderung zwischen Originaltreue, die in der Zielsprache oft zu einem zwar korrekten, aber ungeniessbaren Text führt, und einer Nachdichtung, also einem Werk, das auf dem Mist zweier Poeten gewachsen ist. Hier das Resultat dieser Gratwanderung:

Danke dir, Leben!

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir zwei Sternenaugen. Und wenn ich sie auftu’,
trennt sich das Dunkle vom Hellen
und in der Tiefe des Himmels erkenne ich die Sterne
und im Menschengedränge den Mann, den ich liebe.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir zwei Ohren,
die Tag und Nacht die Welt erlauschen,
den Gesang der Grillen und Kanarienvögel, der Hämmer und Turbinen,
Hundegebell, das Prasseln des Regens
und die zärtliche Stimme meines so Geliebten.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir die Stimme. Du gabst mir die Laute
und damit die Worte, die ich denke und verschenke:
der Mutter, dem Freund, dem Bruder und dem,
den ich liebe, damit ich zu ihm finde.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir meine Füsse.
Mit ihnen ging ich durch Städte und Pfützen,
über Strände, durch Wüsten, Berge und Ebenen
und schliesslich – ganz müde – durch deine Strasse, dein Haus, deinen Patio.

Danke dir, Leben, das mir so vieles gegeben!
Du gabst mir das Herz, und das klopft zum Zerspringen,
betrachte ich die Früchte des menschlichen Geistes
und sehe, wie weit das Gute vom Bösen,
und wenn ich in deine klaren Augen schaue.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir das Lachen. Du gabst mir das Weinen.
So scheide ich das Glück vom Leid,
die beiden Stoffe, aus denen mein Lied geformt ist
und auch dein Lied, es ist dasselbe Lied,
es ist das Lied von uns allen und zugleich mein eigen Lied.

Danke dir, Leben!

Das Lied wurde in unzähligen Versionen interpretiert. Eine der schönsten ist das Original … Wegen der wunderbaren Stimme Violeta Parras und der Schlichtheit ihrer Interpretation:

 

 

Mercedes Sosa trug das Lied rund um die Welt:

 

 

Und schliesslich eine zweisprachige Version von Kontantin Wecker mit Gaby Moreno. Auch diese berührend:

 

 

Violeta Parras Liedtext im Original:

Gracias a la vida

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio dos luceros que cuando los abro
Perfecto distingo lo negro del blanco
Y en el alto cielo su fondo estrellado
Y en las multitudes el hombre que yo amo

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el oído que en todo su ancho
Graba noche y días
Grillos y canarios, martillos, turbinas
Ladridos, chubascos
Y la voz tan tierna de mi bien amado

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el sonido y el abecedario
Con el las palabras que pienso y declaro
Madre, amigo, hermano y luz alumbrando
La ruta del alma del que estoy amando

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la marcha de mis pies cansados
Con ellos anduve ciudades y charcos
Playas y desiertos, montañas y llanos
Y la casa tuya, tu calle y tu patio

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio el corazón que agita su marco
Cuando miro el fruto del cerebro humano
Cuando miro el bueno tan lejos del malo
Cuando miro el fondo de tus ojos claros

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la risa y me ha dado el llanto
Así yo distingo dicha de quebranto
Los dos materiales que forman mi canto
Y el canto de ustedes que es el mismo canto
Y el canto de todos que es mi propio canto

Gracias a la vida

Alfonsina und das Meer

AlfosinaStorniAlfonsina Storni (1892 – 1938), argentinische Journalistin, Schriftstellerin und Poetin mit Schweizer Wurzeln, war ihrer Zeit weit voraus. Schon von früh an wehrte sie sich «gegen hergebrachte Stereotypen des Weiblichen als des ‹sanften, unterwürfigen Elements›» (Wikipedia) und führte von jung an ein nonkonformistisches und selbstbestimmtes Leben. Heute würde man sie eine Feministin nennen. Im Argentinien jener Zeit war dies eine grosse Herausforderung an die Männerwelt, zumal ihre Gedichte immer mehr Anklang fanden. Als ledige Mutter flüchtete sie vor Ausgrenzung und Diffamierung nach Buenos Aires, wo sie sich und ihren Sohn mit unterschiedlichsten Arbeiten über Wasser hielt: Sie war unter anderem Kassiererin in einer Apotheke und Korrespondentin einer Handelsfirma. Wann immer möglich schrieb sie Gedichte, weil Schreiben für sie lebensnotwendig war.

Trotz der vielen literarischen Preise und der Berühmtheit, die sie mit der Zeit erlangte, blieb sie ihrem eigenen Kosmos treu: eine eigenwillige, rätselhafte Frau und Dichterin bis heute. Vollends zur Legende in Lateinamerika wurde sie durch ihren Freitod in den Wellen des Atlantiks bei Mar del Plata.

Davon zeugt das bekannten Lied «Alfonsina y el Mar» von Ariel Ramirez (Musik) und Felix Luna (Text). Mercedes Sosa machte dieses Lied und somit die mutige und traurige Lebensgeschichte Alfonsina Stornis weltberühmt. Es gibt aber eine Vielzahl von Vertonungen, von folkloristisch bis jazzig.

Zunächst die Übersetzung des Liedtextes von meiner Hand:

Auf dem weichen Sand, beleckt vom Meer,
verliert sich die Spur ihrer kleinen Füsse.
Ein einsamer Pfad in Schmerz und Stille führte
bis zum tiefen Wasser.
Ein einsamer Pfad in stummem Kummer führte
bis zur Gischt.

Weiss Gott, welch‘ Ängste dich begleiteten,
welch alter Schmerz deine Stimme zerbrach,
um dich beim Gesang der Meeresmuscheln
in den Schlaf zu wiegen,
beim Lied der Muscheln
in der dunklen Tiefe des Meeres.

In deiner Einsamkeit gehst du hin, Alfonsina.
Welch‘ neue Verse gingst du suchen?
Eine alte Stimme von Wind und Salz
umschmeichelt deine Seele und nimmt sie mit sich.
Du gehst hin, wie in Träumen, Alfonsina,
schlafend und vom Meer umhüllt.

Fünf Meerjungfern werden dich
über Wege von Seetang und Korallen geleiten.
Und schillernde Seepferdchen
werden dich umschwärmen.
Und bald werden die Wasserwesen
an deiner Seite spielen.

Dämpfe mir das Licht etwas.
Lass mich in Ruhe schlafen, Amme.
Und wenn er mich ruft, sag nicht dass ich da bin,
sag ihm, dass Alfonsina nicht zurückkehrt.
Und wenn er mich ruft, sagt nie, dass ich da bin.
Sag, dass ich gegangen bin.

In deiner Einsamkeit gehst du hin, Alfonsina.
Welch‘ neue Verse gingst du suchen?
Eine alte Stimme von Wind und Salz
umschmeichelt deine Seele und nimmt sie mit sich.
Du gehst hin, wie in Träumen, Alfonsina,
schlafend und vom Meer umhüllt.

Hier eine wunderschön dramatische Vertonung von Jairo und Lito Vitale: [Read more…]