Silvio Rodríguez: Ojalá – Hoffentlich

Ein Liebeslied der besonderen Art. Silvio Rodríguez schrieb es in jungen Jahren, das heisst Ende der 1960er, Anfang 1970er. Seine Fans erhoben es schnell zum Kultlied, das sie noch heute, fünfzig Jahre später, mit glühenden Ohren und Tränen in den Augen mitsingen.

Erst als ich damit begann, zeigte sich, wie schwierig Rodríguez‘ Poesie zu übersetzen ist. Lange kaute ich an manchen Versen, biss mir zuweilen fast die Zähne aus.

Doch nun hat die Übersetzung eine Form gefunden, zu der ich stehen kann. Erst später stiess ich im Web-All auf eine deutsche Version des Liedes von Frank Viehweg, die sprachlich schlicht unschlagbar ist. Am Schluss ist sie eingefügt.

Ojalá

Ojalá que las hojas no te toquen el cuerpo cuando caigan

Para que no las puedas convertir en cristal

Ojalá que la lluvia deje de ser milagro que baja por tu cuerpo

Ojalá que la luna pueda salir sin ti

Ojalá que la tierra no te bese los pasos

Ojalá se te acabe la mirada constante

La palabra precisa, la sonrisa perfecta

Ojalá pase algo que te borre de pronto


Una luz cegadora, un disparo de nieve

Ojalá por lo menos que me lleve la muerte

Para no verte tanto, para no verte siempre

En todos los segundos

En todas las visiones

Ojalá que no pueda tocarte ni en canciones


Ojalá que la aurora no dé gritos que caigan en mi espalda


Ojalá que tu nombre se le olvide a esa voz


Ojalá las paredes no retengan tu ruido de camino cansado

Ojalá que el deseo se vaya atrás de ti

A tu viejo gobierno de difuntos y flores


Ojalá se te acabe la mirada constante

La palabra precisa, la sonrisa perfecta

Ojalá pase algo que te borre de pronto


Una luz cegadora, un disparo de nieve

Ojalá por lo menos que me lleve la muerte

Para no verte tanto, para no verte siempre

En todos los segundos, en todas las visiones

Ojalá que no pueda tocarte ni en canciones


Ojalá pase algo que te borre de pronto


Una luz cegadora, un disparo de nieve

Ojalá por lo menos que me lleve la muerte

Para no verte tanto, para no verte siempre

En todos los segundos

En todas las visiones

Ojalá que no pueda tocarte ni en canciones

Hoffentlich

Hoffentlich berühren die Blätter, wenn sie fallen, nicht deinen Körper

Damit du sie nicht in Kristall verwandelst

Hoffentlich erlöscht das Wunder des Regens, der über deinen Körper rieselt

Hoffentlich geht der Mond auch ohne dich auf

Hoffentlich küsst die Erde nicht deine Schritte

Hoffentlich hat dein ewiger Blick bald ein Ende

Das gezielte Wort, dein perfektes Lächeln

Hoffentlich geschieht bald etwas, das dich verblassen lässt

Ein gleissendes Licht, ein Schneeblitz

Wenn mich bloss der Tod mitnähme

Damit ich dich nicht immer sehen muss

In jeder Sekunde

In all meinen Gedanken

Hoffentlich erreichen dich meine Lieder nicht

Hoffentlich wird die Morgendämmerung nicht von Schreien zerrissen, die mich hinterrücks überfallen

Hoffentlich geht dein Name auf der Stelle vergessen

Hoffentlich bleibt das Geräusch deines müden Gangs nicht in diesen Wänden gefangen

Hoffentlich verfolgt dich der Wunsch

Nach deiner längst vergangenen Regentschaft der Toten und Blumen

Hoffentlich hat dein ewiger Blick bald ein Ende

Das gezielte Wort, dein perfektes Lächeln

Hoffentlich geschieht bald etwas, das dich verblassen lässt

Ein gleissendes Licht, ein Schneeblitz

Wenn mich bloss der Tod mitnähme

Damit ich dich nicht immer sehen muss

In jede Sekunde, In all meinen Gedanken

Hoffentlich erreichen dich meine Lieder nicht

Hoffentlich geschieht bald etwas, das dich verblassen lässt

Ein gleissendes Licht, ein Schneeblitz

Wenn mich bloss der Tod mitnähme

Damit ich dich nicht immer sehen muss

In jede Sekunde

In all meinen Gedanken

Hoffentlich erreichen dich meine Lieder nicht
Deutsche Version des Liedes von Frank Viehweg

Edit 31.7.2023: Übersetzung nochmals überarbeitet

Graçias a la vida – Danke dir, Leben!

Wandgemälde der Charrango spielenden Violeta Parra in Santiage de Chile.

Ist es ein Liebeslied, ein Abschiedslied, eine Hymne ans Leben? Violeta Parras Lied «Graçias a la vida» ist alles zugleich. Vielleicht deshalb ging es um die Welt und wird bis heute gesungen und neu interpretiert. Die chilenische Sängerin schrieb es kurz vor ihrem selbstgewählten Tod im Jahr 1967. Sie hinterliess ein Vielzahl Lieder voller Poesie und oft auch Melancholie, meist in Verbindung mit Liebesleid, darunter eben «Graçias a la vida».

Poesie zu übersetzen ist immer eine Gratwanderung zwischen Originaltreue, die in der Zielsprache oft zu einem zwar korrekten, aber ungeniessbaren Text führt, und einer Nachdichtung, also einem Werk, das auf dem Mist zweier Poeten gewachsen ist. Hier das Resultat dieser Gratwanderung:

Danke dir, Leben!

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir zwei Sternenaugen. Und wenn ich sie auftu’,
trennt sich das Dunkle vom Hellen
und in der Tiefe des Himmels erkenne ich die Sterne
und im Menschengedränge den Mann, den ich liebe.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir zwei Ohren,
die Tag und Nacht die Welt erlauschen,
den Gesang der Grillen und Kanarienvögel, der Hämmer und Turbinen,
Hundegebell, das Prasseln des Regens
und die zärtliche Stimme meines so Geliebten.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir die Stimme. Du gabst mir die Laute
und damit die Worte, die ich denke und verschenke:
der Mutter, dem Freund, dem Bruder und dem,
den ich liebe, damit ich zu ihm finde.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir meine Füsse.
Mit ihnen ging ich durch Städte und Pfützen,
über Strände, durch Wüsten, Berge und Ebenen
und schliesslich – ganz müde – durch deine Strasse, dein Haus, deinen Patio.

Danke dir, Leben, das mir so vieles gegeben!
Du gabst mir das Herz, und das klopft zum Zerspringen,
betrachte ich die Früchte des menschlichen Geistes
und sehe, wie weit das Gute vom Bösen,
und wenn ich in deine klaren Augen schaue.

Danke dir, Leben, du hast mir so vieles gegeben!
Du gabst mir das Lachen. Du gabst mir das Weinen.
So scheide ich das Glück vom Leid,
die beiden Stoffe, aus denen mein Lied geformt ist
und auch dein Lied, es ist dasselbe Lied,
es ist das Lied von uns allen und zugleich mein eigen Lied.

Danke dir, Leben!

Das Lied wurde in unzähligen Versionen interpretiert. Eine der schönsten ist das Original … Wegen der wunderbaren Stimme Violeta Parras und der Schlichtheit ihrer Interpretation:

 

 

Mercedes Sosa trug das Lied rund um die Welt:

 

 

Und schliesslich eine zweisprachige Version von Kontantin Wecker mit Gaby Moreno. Auch diese berührend:

 

 

Violeta Parras Liedtext im Original:

Gracias a la vida

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio dos luceros que cuando los abro
Perfecto distingo lo negro del blanco
Y en el alto cielo su fondo estrellado
Y en las multitudes el hombre que yo amo

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el oído que en todo su ancho
Graba noche y días
Grillos y canarios, martillos, turbinas
Ladridos, chubascos
Y la voz tan tierna de mi bien amado

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el sonido y el abecedario
Con el las palabras que pienso y declaro
Madre, amigo, hermano y luz alumbrando
La ruta del alma del que estoy amando

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la marcha de mis pies cansados
Con ellos anduve ciudades y charcos
Playas y desiertos, montañas y llanos
Y la casa tuya, tu calle y tu patio

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio el corazón que agita su marco
Cuando miro el fruto del cerebro humano
Cuando miro el bueno tan lejos del malo
Cuando miro el fondo de tus ojos claros

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la risa y me ha dado el llanto
Así yo distingo dicha de quebranto
Los dos materiales que forman mi canto
Y el canto de ustedes que es el mismo canto
Y el canto de todos que es mi propio canto

Gracias a la vida

«Bevor mir die Worte ausgehen»: Das Buch

Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, liebe Abonnentinnen, Follower, Zwischendurch-mal-Hineinschauende, liebe Mitreisende im Web-All

Da er keine Kinder zur Welt gebracht hat, müssen es halt Bücher sein. So oder ähnlich könnte man über mich frotzeln. Denn ich stehe kurz davor, ein zweites Buch zur Welt zu bringen. Titel: «Bevor mir die Worte ausgehen. Ausgewählte Texte der letzten zwanzig Jahre».

Das Buch ist zwar nicht das Vermächtnis eines Menschen am Ende seines Lebens – dazu steckt noch zu viel Lebenskraft in mir –, aber halt doch «die Ernte aus zwei Jahrzehnten Leben mit der Sprache, eine Ernte, eingebracht in die Scheuer, bevor der Winter kommt. Nicht ausgeschlossen, dass es wieder Frühling wird. Doch diese Lese ist schon mal im Trockenen und kann während des Winters nähren und Wärme spenden.» (Aus dem Vorwort.)

Trotz der poetischen Sprengkraft mancher Texte in diesem Buch habe ich keinen Verleger gefunden, der das Wagnis eingehen würde, die Textauswahl eines literarischen Nobodys zu veröffentlichen.

Dann mache ich es halt selbst, habe ich mir gesagt.

Das Buch soll via Book on Demand veröffentlicht werden. Das heisst, es werden nur so viele Bücher hergestellt, wie eben nachgefragt werden. Das führt zu längeren Lieferfristen und höheren Stückkosten. Zudem fällt das Marketing weg, ausser ich selbst wirble etwas Staub auf. Kein Erfolgsmodell im heutigen Büchermarkt!

Das Buch wird also kommerziell kaum erfolgreich sein. Vielmehr hat es bis jetzt einiges gekostet: für Umbruch und Gestaltung, für Lektorat und so weiter. Diese Kosten werde ich kaum mit dem Verkauf einspielen können.

Mit Crowdfunding möchte ich die Finanzierungslücke schliessen.

Und da kommt ihr ins Spiel …

Solltet ihr Freude haben, mein Projekt zu unterstützen, so werdet Booster auf meiner Projektseite. Nein! Damit ist nicht eine weitere Covid-Impfung gemeint. Vielmehr handelt es sich dabei um den Ehrentitel einer Person, die ein Crowdfunding-Projekt unterstützt.

Hier geht’s zu meiner Projektseite:

https://wemakeit.com/projects/bevor-mir-die-worte-ausgehen

Vielen Dank für euer Interesse!

Wie ich mit Bloggen begann – und wie geht es weiter?

Bildschirmaufnahme aus den Anfängen meines Blogs

Nach einer längeren Pause mag es an der Zeit sein, nach den Ursprüngen und Motiven meines Schreibens im Internet zu forschen, um wieder Tritt zu fassen – oder es endgültig sein zu lassen. Denn einerseits motiviert das Bloggen ungemein: Ob ich meine Texte ins Web-All schleudere oder in die mittlere Schublade meines Schreibpultes, macht einen Unterschied. Anderseits wird das eigene Schreiben in eine bestimmte Richtung gedrängt, wenn ich einen Blog führe. Das Medium formt den Inhalt, und zwar mehr, als mir das zunächst bewusst war.

Es begann im Januar 2010, also vor mehr als elf Jahren, und gab meinem Schreiben einen unvergleichlichen Schub. Sieben bis zehn Texte pro Monat entstanden zu jener Zeit – neben einer anspruchsvollen 70-Prozent-Stelle und einem deutlich aufwendigeren Sozialleben als heute. Keine Ahnung, wie ich das alles unter einen Hut brachte! Und es machte auch noch Freude, grosse Freude.

Bloggen war damals zwar keine Pioniertat mehr, hatte aber noch den Ruch von etwas Exklusivem. Ich veröffentlichte ein Sammelsurium von poetischen Kürzesttexten, (Reise-)Tagebucheinträgen und bald auch etwas längeren politischen Texten. Ganz am Anfang stand dieses Bekenntnis. Am meisten Reaktionen und Klicks erhielt ich für politische Texte. Spitzenreiter und Longseller ist der Beitrag Gemüse für Europa – aus Sklavenhand mit inzwischen 15’073 Klicks und 16 Kommentaren (Stand 30.4.2021).

Klicks und Kommentare spornen an

Klicks und Kommentare sind gleichsam das Entgelt für Blogger, die keine kommerziellen Interessen verfolgen. Sie sind eine Art Währung, die auch mein Schreiben beflügelt. So verschob sich der Schwerpunkt meines Blogs auf politische Texte, im Idealfall mit zugespitztem Titel. Dies geschah zunächst halbbewusst, zumindest nicht aus strategischen Gründen und belohnte mich mit vielen Klicks und Kommentaren. Doch war es wirklich das, was ich mit meinem Schreiben wollte: meine politischen Auffassungen lautstark kundtun? Wollte ich einen dezidiert linken Politblog führen – letztlich bloss, weil das am meisten Klicks einbringt? Trotz der Versuchung blieb ich dem ursprünglichen Konzept treu: «Poetisches und Nüchternes, Persönliches und Globales, Philosophisches und Banales. Sprachliches und Bildliches, Sammelsurium und Besonderes, alles und nichts …» – Wenn man das überhaupt ein Konzept nennen kann.

In den letzten Jahren musste ich – wohl nicht zuletzt, weil ich keinen Blog führen mochte, der nicht so richtig in eine Schublade passt – punkto Klickzahlen zurückbuchstabieren. Wen wundert’s? Im Oktober 2011 gab es weltweit lächerliche 173 Millionen Blogs[1], heute sollen es um die 1,5 Milliarden sein. Die Konkurrenz ist also gross. Man muss sich derzeit schon ins Zeug legen, um nicht im Grundrauschen des Web-Alls unterzugehen. Ohne soziale Medien (Facebook, Twitter & Co.) geht diesbezüglich gar nichts mehr.

Und jetzt?

Da lasse ich lieber die Finger von. So stehe ich also vor der Wahl, das Bloggen nach einer längeren Pause wieder aufzunehmen, im Bewusstsein, kleine Brötchen zu backen, die aber von einer treuen und langsam wachsenden Gemeinde dankbar entgegengenommen werden. Oder ich höre auf damit, und es bleibt ungewiss, ob ich mich überhaupt noch zum Schreiben zusammenraufen kann.

Zwar lebte ich die letzten Monate ganz gut ohne Bloggen. Doch es verging kein Tag, wo ich nicht dachte, wie schön es wäre, mir wieder mal einen herzhaften, redlichen Text von der Seele zu schreiben und damit nach aussen zu treten. Es ist nun mal das, was ich am besten kann und am liebsten tue, wenn ich nicht von einem Schreibstau heimgesucht werde,

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Anmerkung:

[1] https://blog.content.de/2014/03/28/content-schock/blogbeitrag/

Coronäre Haikus

Der (oder das) Haiku war ursprünglich eine traditionelle japanische Gedichtform, ein Naturgedicht, das darstellt, aber nicht interpretiert. Der Haiku sollte inhaltlich so offen sein, dass er erst durch das Erleben des Lesers, der Leserin vollständig und ganz wird. Er gilt als die kürzeste abgeschlossene lyrische Form: siebzehn Silben, verteilt auf drei Zeilen: 5 – 7 – 5.

Heute wird der Haiku auf der ganzen Welt geschrieben. Entsprechend vielfältig sind die Formen und inhaltlichen Regeln – und die Ansprüche der Puristen, die einzig «wahre Haiku-Lehre» zu vertreten. Mich kümmert das wenig. Vielmehr bietet mir die karge Versuchsanordnung Raum für Phantasie. Denn gerade in der Beschränkung wird diese entfesselt. Einer zusätzlichen Regel habe ich mich unterworfen: Irgendwo zwischen Zeile 1, 2 oder 3 soll ein Perspektivwechsel, ein inhaltlicher Sprung stattfinden. Der Rest ist freies Spiel ohne Anspruch auf irgendwas.

Ach ja! Und am Anfang stand der Wunsch, was wir zurzeit erleben, das Coronatrauma, in Haikus zu fassen.

Der Himmel so rein.
Stille rund um die Erde.
In uns Entsetzen.
Coronastillstand,
bezaubernd und gespenstisch.
Was pocht an der Tür?
Schatten an der Wand.
Besorgt betrachten wir sie.
Sie tanzen im Licht.