Grundeinkommen und soziale Dreigliederung: Ein Widerspruch?

Da ich beiden Ideen zugeneigt bin, der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ebenso wie der Idee der sozialen Dreigliederung, treibt mich die Frage nach der Vereinbarkeit der beiden Impulse besonders um. Je nach Antwort muss ich in meinem Denken einen grösseren oder kleineren Spagat vollführen – oder eine der Ideen über Bord werfen. – Ein Klärungsversuch.

Seit Jahren besteht ein Streit innerhalb interessierter anthroposophischer Kreise über die Frage, ob sich das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) mit der Idee der sozialen Dreigliederung vereinbaren lässt, also letztlich, ob das BGE seitens der Anthroposophie Unterstützung verdient oder nicht. Die Auseinandersetzung wird mit einer gewissen Vehemenz geführt und trägt zuweilen auch polemische Züge, wobei es vor allem die «Dreigliederer» sind, die sich dagegen wehren, dass das BGE als gleichsam organisch aus der sozialen Dreigliederung hervorgehende Idee betrachtet wird.

Was ist soziale Dreigliederung?
Für die LeserInnen, denen die Idee der sozialen Dreigliederung unbekannt ist, hier ein kleiner Exkurs: Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, hat die Idee im Jahr 1919 unter dem Eindruck der russischen Oktober-Revolution in die Welt gesetzt. Sie umfasst im Wesentlichen das Ziel, die drei Hauptbereiche des sozialen Lebens – das Rechtsleben, das Wirtschaftsleben und das Geistesleben, bestehend aus Kunst, Bildung und Forschung, so zu organisieren, dass diese sich eigenständig entwickeln können.[1] Ein weiterer zentraler Punkt ist die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Lohnarbeit unterscheide sich nur in Nuancen von Sklavenarbeit und widerspreche der inneren Logik des menschlichen Tätigseins. Denn Arbeit sei keine Ware, die sich kaufen und verkaufen lasse. Vielmehr bestehe der Sinn einer «Entlöhnung» darin, den Tätigen so mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, dass er sich überhaupt seiner Tätigkeit widmen kann und nicht zum Beispiel stattdessen Kartoffeln anpflanzen muss. Im sogenannten sozialen Hauptgesetz[2] – das Rudolf Steiner allerdings schon in jüngeren Jahren geprägt hat, also einige Zeit vor seiner Dreigliederungsidee – kommt das anzustrebende Verhältnis von Arbeit und Einkommen, dort Erträgnisse genannt, zum Ausdruck. [Read more…]

IWF-Studie: Kluft zwischen Arm und Reich schuld an der Krise

Ausgerechnet eine IWF-Studie weist auf die fatale Wirkung der ungleichen Einkommensverteilung hin – und empfiehlt unerhörte Rezepte. – Ein völlig subjektiver Bericht.

Den Glauben an die Wirtschaftswissenschaft als Wissenschaft hatte ich bereits aufgegeben. Zu sehr schien mir die Ökonomie von Ideologie geprägt. Zu unsensibel, ja, oft genug geradezu immun war und ist sie gegenüber der Lebensrealität der meisten Menschen. Schön hat das Kai Wright in Le Monde diplomatique vom November 2010 ausgedrückt: „Es mag ja sein, dass die Wirtschaft ‚wächst‘, aber dieses Wachstum ist falsch und betrifft die wirklichen Menschen nur insofern, als es sich auf ihre Kosten vollzieht.“

Die Mechanik der Krise
Ich habe deshalb meinen Ohren nicht getraut, als ich von einer Studie ausgerechnet aus der IWF-Küche vernahm, welche die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich als Ursache für die aktuelle Wirtschaftskrise ansieht. Auch im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahrer wurde das Ungleichgewicht der Einkommen so extrem, dass es zum Zusammenbruch kam. Der Mechanismus ist in etwa der folgende: Während die Wenigverdienenden sich verschulden müssen, damit sie ihren – oft schon prekären – Lebensstandard in etwa halten können, haben die Besserverdienenden zunehmend „überschüssiges“ Geld, das möglichst gewinnbringend angelegt werden will. Unter dem Druck von beiden Seiten, den Ärmsten wie den Reichsten – gut, vielleicht hauptsächlich unter dem Druck der Reichsten –, werden unrealistische Kreditbedingungen geschaffen, zum Beispiel auf dem Hypothekenmarkt, aber nicht nur dort, Bedingungen, die den Geldkreislaufmotor zwar brummen lassen – allerdings nicht auf realwirtschaftlicher Grundlage, sondern auf Pump. Es sind Kredite, die zwar leicht zu haben sind – was zunächst die Wenigverdienenden freut –, die aber wegen des Risikos ganz schön teuer sind – zur Freude wiederum der Geldgeber und Investoren. In einem solch windigen Umfeld genügt eine unvorhergesehene Entwicklung, zum Beispiel dass die Immobilienpreise nicht wie gewohnt weiterwachsen, um das wacklige Gebäude einstürzen zu lassen. So geschehen in den USA zu Beginn der Krise im Jahr 2007. So geschehen auch im Jahr 1929, zu Beginn der grossen Depression der 1930er Jahre.

Gegensteuer durch Umverteilungspolitik
Vollends gestaunt habe ich, als ich die Schlussfolgerungen von Romain Rancière, einem der Verfasser der Studie, hörte (in einem Beitrag des Echo der Zeit von Radio DRS). Er empfahl der Politik, darauf hin zu wirken, dass die Einkommen der Angestellten erhöht würden, damit sie ihre Schulden abbauen könnten. Die Gewerkschaften müssten zu diesem Zweck gestärkt werden. Ferner liesse sich durch eine angepasste Steuerpolitik das Ungleichgewicht der Einkommen mässigen. Stichworte dazu: Löhne steuerlich entlasten, dafür höhere Steuern auf Einkommen durch Besitz von Boden von von natürlichen Ressourcen – oder auf Einkommen im Finanzsektor. Eine solche Umverteilungspolitik käme die Volkswirtschaft wesentlich günstiger zu stehen als Rettungspakete und Umschuldungen.

Natürlich wusste ich schon vorher, dass es in der Wirtschaftswissenschaft nicht nur Ideologen, sondern auch echte, unvoreingenommene Forscher gibt. Trotzdem ist das Ansehen der Gilde vor meinen Augen deutlich gestiegen. – Und vielleicht ist auch beim IWF noch nicht aller Tage Abend. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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