Basler Zeitung mit zunehmendem Rechtsdrall

Die Meinungsvielfalt in Ehren. Doch was wir in der Basler Zeitung immer öfter vorgesetzt bekommen, hat mit Meinungsvielfalt ebenso wenig zu tun, wie Lüge und Demagogie mit der Wirklichkeit. Ein empörendes Beispiel stand am 11. März in einem Interview mit Dieter Spiess, dem Präsidenten der Baselbieter SVP. Im Zusammenhang mit der befürchteten Flüchtlingswelle aus Nordafrika kann er unwidersprochen behaupten:

„Warum gehen diese Leute [die Flüchtlinge] nicht nach Amerika oder Kanada? Weil ihnen hier [in der Schweiz] das Geld nachgeschossen wird.“

Das Geld wird den Flüchtlingen in der Schweiz schon lange nicht mehr nachgeworfen, Herr Spiess. Im Gegenteil! Mit dem Entzug der kantonalen Nothilfe, die ein absolutes Minimum für die Existenz darstellt – ein Minimum übrigens, wie man es den Schweizer Bürgern (noch) nicht zumuten würde –, werden selbst gefährdete Flüchtlinge so weit vergrämt, dass sie möglichst die Schweiz verlassen.

Doch wir sind beim Niedergang der Basler Zeitung. In derselben Ausgabe und an prominentester Stelle, nämlich auf den Seiten 1, 2 und 3, werden „Berechnungen“ von Ökonomen der Basler Universität ausgebreitet, die den Beitritt der Schweiz zur Europäschen Union schon aus ökonomischer Sicht als absurdes Unterfangen erscheinen lassen. Die Argumentation geht so: Ein Beitritt der Schweiz zur EU würde diese in den nächsten zehn Jahren 900 Milliarden Franken kosten. Mit dieser Summe beziffern die Ökonomen den wirtschaftlichen Gegenwert für den Verzicht auf direktdemokratische Rechte. „So viel müssten die Schweizer theoretisch erhalten, damit sie wieder gleich zufrieden wären wie vor der Einschränkung ihrer Rechte.“

Eine wundersame Schätzung! Ich wusste gar nicht, dass man demokratische Rechte in Geld aufwiegen kann. Je weniger Rechte ich habe, umso mehr lasse ich mich das kosten … Was ist das für eine Logik? Und was sind das für Wissenschafter? Doch die Stossrichtung der absurden Beweisführung ist natürlich klar: Ein EU-Beitritt ist des Teufels – und zudem für uns Schweizer unbezahlbar. Wer kann schon in heutigen Zeiten binnen zehn Jahre 900 Milliarden Franken aufwerfen?

Eigentlich könnte ich eine solche Posse schulterzuckend zur Seite legen und mich Sinnvollerem und anderen Tageszeitungen zuwenden. Doch das ist ja gerade mein Problem: als leidenschaftlicher Zeitungsleser fehl mir hier in der Nordwestschweiz schlicht eine Alternative – zumindest wenn ich mich zufälligerweise auch für die Region interessiere, in der ich lebe. Seit der Wende bei der Basler Zeitung wird mir – im Namen der Meinungsvielfalt – zunehmend eine rechtsbürgerliche Meinung unter die Nase gerieben, der ich mich nur entziehen kann, indem ich Verzicht übe: Verzicht auf die Lektüre der regionalen Zeitung und damit Verzicht auf einige wichtige Aspekte meiner Verbundenheit mit der Region.

Und das ist eine Zumutung, die ich irgend einem dahergelaufenen Investor zu verdanken habe, der fand, es sei sicher lohnend, in den publizistisch gesteuerten Meinungsumschwung einer ganzen Region zu investieren – und ich weiss nicht einmal mit Sicherheit, wer das ist …

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Nachtrag:

Deshalb unterstütze ich mit ganzem Herzen die Petition für Medientransparenz, initiiert von Kunst und Politik.

IWF-Studie: Kluft zwischen Arm und Reich schuld an der Krise

Ausgerechnet eine IWF-Studie weist auf die fatale Wirkung der ungleichen Einkommensverteilung hin – und empfiehlt unerhörte Rezepte. – Ein völlig subjektiver Bericht.

Den Glauben an die Wirtschaftswissenschaft als Wissenschaft hatte ich bereits aufgegeben. Zu sehr schien mir die Ökonomie von Ideologie geprägt. Zu unsensibel, ja, oft genug geradezu immun war und ist sie gegenüber der Lebensrealität der meisten Menschen. Schön hat das Kai Wright in Le Monde diplomatique vom November 2010 ausgedrückt: „Es mag ja sein, dass die Wirtschaft ‚wächst‘, aber dieses Wachstum ist falsch und betrifft die wirklichen Menschen nur insofern, als es sich auf ihre Kosten vollzieht.“

Die Mechanik der Krise
Ich habe deshalb meinen Ohren nicht getraut, als ich von einer Studie ausgerechnet aus der IWF-Küche vernahm, welche die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich als Ursache für die aktuelle Wirtschaftskrise ansieht. Auch im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahrer wurde das Ungleichgewicht der Einkommen so extrem, dass es zum Zusammenbruch kam. Der Mechanismus ist in etwa der folgende: Während die Wenigverdienenden sich verschulden müssen, damit sie ihren – oft schon prekären – Lebensstandard in etwa halten können, haben die Besserverdienenden zunehmend „überschüssiges“ Geld, das möglichst gewinnbringend angelegt werden will. Unter dem Druck von beiden Seiten, den Ärmsten wie den Reichsten – gut, vielleicht hauptsächlich unter dem Druck der Reichsten –, werden unrealistische Kreditbedingungen geschaffen, zum Beispiel auf dem Hypothekenmarkt, aber nicht nur dort, Bedingungen, die den Geldkreislaufmotor zwar brummen lassen – allerdings nicht auf realwirtschaftlicher Grundlage, sondern auf Pump. Es sind Kredite, die zwar leicht zu haben sind – was zunächst die Wenigverdienenden freut –, die aber wegen des Risikos ganz schön teuer sind – zur Freude wiederum der Geldgeber und Investoren. In einem solch windigen Umfeld genügt eine unvorhergesehene Entwicklung, zum Beispiel dass die Immobilienpreise nicht wie gewohnt weiterwachsen, um das wacklige Gebäude einstürzen zu lassen. So geschehen in den USA zu Beginn der Krise im Jahr 2007. So geschehen auch im Jahr 1929, zu Beginn der grossen Depression der 1930er Jahre.

Gegensteuer durch Umverteilungspolitik
Vollends gestaunt habe ich, als ich die Schlussfolgerungen von Romain Rancière, einem der Verfasser der Studie, hörte (in einem Beitrag des Echo der Zeit von Radio DRS). Er empfahl der Politik, darauf hin zu wirken, dass die Einkommen der Angestellten erhöht würden, damit sie ihre Schulden abbauen könnten. Die Gewerkschaften müssten zu diesem Zweck gestärkt werden. Ferner liesse sich durch eine angepasste Steuerpolitik das Ungleichgewicht der Einkommen mässigen. Stichworte dazu: Löhne steuerlich entlasten, dafür höhere Steuern auf Einkommen durch Besitz von Boden von von natürlichen Ressourcen – oder auf Einkommen im Finanzsektor. Eine solche Umverteilungspolitik käme die Volkswirtschaft wesentlich günstiger zu stehen als Rettungspakete und Umschuldungen.

Natürlich wusste ich schon vorher, dass es in der Wirtschaftswissenschaft nicht nur Ideologen, sondern auch echte, unvoreingenommene Forscher gibt. Trotzdem ist das Ansehen der Gilde vor meinen Augen deutlich gestiegen. – Und vielleicht ist auch beim IWF noch nicht aller Tage Abend. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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