Wort des Monats: UNRWA

Die UNRWA, das Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten steht wie die Bevölkerung im Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Mehrere seiner Mitarbeiter seien am terroristischen Anschlag und Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 im Süden Israels beteiligt gewesen, so die israelische Regierung. Etliche westliche Staaten haben in der Folge ihre Zahlungen ans Hilfswerk eingestellt, darunter so wichtige wie die USA, Grossbritannien, Deutschland und Frankreich. Auch die Schweiz setzt die Zahlungen aus, bis weitere Informationen zu den Vorwürfe vorliegen. – Für die Bevölkerung im Gazastreifen droht eine weitere Katastrophe innerhalb der Tragödie des Gazakrieges.

Der Vorgang ist einmalig: Auf Verdacht hin, dass einige MitarbeiterInnen der UNRWA an den Anschlägen vom 7. Oktober beteiligt gewesen waren – es ist von zwölf Verdächtigen die Rede, das Hilfswerk hat im Gazastreifen 13’000 MitarbeiterInnen –, stoppen wichtige Geldgeber unmittelbar ihre Zahlungen, und das im Wissen, dass die UNRWA eines der wenigen Hilfswerke ist, die der bedrängten palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen humanitäre Hilfe zukommen lassen können.

Agnès Callamard, die Generalsekretärin von Amnesty International brachte es auf den Punkt: «Die Vorwürfe über die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitenden an den Anschlägen vom 7. Oktober sind schwerwiegend und müssen von unabhängiger Seite untersucht werden; jeder, gegen den genügende Beweise vorliegen, sollte in einem fairen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden. Die mutmasslichen Handlungen einiger weniger Personen dürfen jedoch nicht als Vorwand dienen, um lebensrettende Hilfe einzustellen. Dies könnte einer kollektiven Bestrafung gleichkommen.»

Zwischen den Fronten

Die UNRWA wurde als temporäres Hilfswerk der Vereinten Nationen im Jahr 1949 gegründet und hat den Auftrag, den registrierten palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien, Syrien, Libanon, dem Gazastreifen und Westjordanland Unterstützung und Schutz zukommen zu lassen, bis die Frage der palästinensischen Flüchtlinge eine definitive Lösung gefunden hat. Seither wird ihr Mandat alle drei Jahre verlängert. Zu ihren Aufgabengebieten gehören unter anderem die Bildung, medizinische Versorgung, die Verbesserung der Infrastruktur in den Flüchtlingslagern, Vergabe von Kleinkrediten und die humanitäre Hilfe. Es ist unvermeidlich und dürfte auf der Hand liegen, dass es Berührungsflächen zwischen dem Hilfswerk und der in Gazastreifen regierenden Hamas gibt. Schon in der Vergangenheit geriet die UNRWA deshalb immer wieder zwischen die Fronten. Ihr wurde jeweils eine zu grosse Nähe zur Hamas vorgeworfen. Das Hilfswerk setzt sich zugunsten der palästinensischen Bevölkerung ein und ist dadurch anwaltschaftliche Partei. Sich von der Hamas im Gazastreifen abzugrenzen, ist eine riesige Herausforderung, die realistischerweise nicht vollständig zu leisten ist, zumal die Hamas nicht nur eine militärische Organisation ist, sondern auch eine Partei mit Regierungsgewalt und ein Hilfswerk.

Einige westliche Länder kommen ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber der UNRWA weiter nach oder stocken, wie etwa Spanien und Irland, ihre Gelder gar auf, da sie die wichtige humanitäre Bedeutung des Hilfswerks im Gazastreifen anerkennen. Die UNRWA ist eine der wenigen Stützen und darunter die wichtigste der leidgeprüften Bevölkerung im Gazastreifen.

Hilfloser Ruf nach einer Zweistaatenlösung

Das Existenzrecht des einen Volkes kann nicht gegen das des anderen aufgewogen werden. Die palästinensische wie die israelische Bevölkerung müssen in Sicherheit und Würde leben können. Diese Tatsache mag hinter dem etwas hilflos anmutenden Ruf nach einer Zweistaatenlösung stecken. Die Hilflosigkeit rührt daher, weil man selbst nicht mehr an eine solche Lösung glaubt und sich die gegenwärtige Regierung Israels dagegen stemmt. – Mit fatalen Folgen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Sie wird von der Staatengemeinschaft im Stich gelassen.

Die Generalsekretärin von Amnesty International sagt dazu: «Es ist eine Schande, dass wichtige Staaten, darunter die Vereinigten Staaten, Kanada, das Vereinigte Königreich, Deutschland und Australien, der wichtigsten Hilfsorganisation für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen den Geldhahn zugedreht haben; dies nur wenige Tage nachdem der Internationale Gerichtshof (IGH) zum Schluss kam, dass das Überleben der Palästinenser*innen in Gaza gefährdet ist.»


Quellen:

Zum Spendenportal der UNRWA

 

Wenn der Kampf gegen den Terrorismus zu weit geht

Am 13. Juni dieses Jahres sind die Schweizer Stimmberechtigten aufgerufen, über gleich fünf Vorlagen zu befinden, die eine umstrittener als die andere. Die Vorlage mit den tiefgreifendsten Auswirkungen allerdings ist am wenigsten umstritten: das «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT). Diese Vorlage soll auf Kosten der Grund- und Menschenrechte die Terrorismusbekämpfung stärken. – Eine Bewertung.

Man kann sich schon fragen, ob wir den Kampf gegen den Terrorismus nicht als gescheitert betrachten müssen: Ganze Länder wie Afghanistan und der Irak wurden in seinem Namen verwüstet. Viele Jahre und Milliarden Dollar später sind sie ausgesprochene Brutstätten des Terrorismus. In den westlichen Ländern wurden – ebenfalls im Namen der Terrorismusbekämpfung – vielenorts die Grundrechte massiv eingeschränkt und die Überwachung ausgebaut. Sind wir dadurch besser geschützt? Weltweit stehen die Menschenrechte unter Druck, nicht zuletzt, weil illegitime Militäraktionen, aussergerichtliche Tötungen, gar Folter als notwendiger Teil des Kampfes gegen den Terrorismus betrachtet werden. Dessen ungeachtet wachsen gleich der Hydra dem Terrorismus neue Köpfe, wo einer abgeschlagen wird. Zudem erleben wir seit zwanzig Jahren geradezu eine Inflation des Begriffs Terrorismus, ohne dass man sich in der Staatengemeinschaft auf dessen genaue Bedeutung einigen könnte. Oft genug wird er als Kampfbegriff verwendet, um den politischen Gegner zu dämonisieren.[1]

Müssen wir nicht vielmehr konstatieren, dass der Terrorismus insofern an sein Ziel gelangt ist, als er neben der Gesellschaft auch die Rechtsordnung nachhaltig erschüttert hat, hin zu einer Stärkung des Autoritären, hin zu zunehmender Überwachung und Einschränkung der Grundrechte? Diese Zerrüttung war aber nicht möglich ohne das bereitwillige Einverständnis der betroffenen Staaten und Regierungen. Manche Regierung profitiert kräftig von der Bewirtschaftung von Bedrohungsszenarien und Angst. Gleichzeitig fehlt es am gemeinsamen Willen, die tatsächlichen Ursachen des Terrorismus anzugehen, dessen Antrieb und Motiven mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln zu begegnen. Denn Terrorismus lässt sich durchaus auch als politischer Konflikt verstehen, der mit entsprechenden Mitteln angegangen werden muss. Stattdessen stürzt man sich mit wehenden Fahnen in den «Krieg gegen den Terror» und verfolgt damit oft genug eine versteckte Agenda.

Von Gefährdern und einem dehnbaren Terrorismusbegriff

In dieses zugegeben etwas holzschnittartige Bild fügen sich die zur Abstimmung stehenden Polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (PMT) problemlos: Neu sollen mit dem Gesetz mögliche Straftaten sanktioniert werden, noch bevor sie begangen wurden. Ein sogenannter terroristischen Gefährder kann mit Massnahmen unterschiedlicher Intensität bis hin zum Hausarrest belegt werden, ohne dass er eine Straftat begangen hat und ohne dass die Massnahmen – ausser dem Hausarrest – richterlich angeordnet werden müssen. Das unterläuft die Gewaltentrennung und öffnet staatlicher Willkür Tür und Tor. Auch handelt es sich hier um einen fragwürdigen Paradigmenwechsel im Rechtsleben.

Kommt hinzu, dass in der Gesetzesvorlage, die zur Abstimmung kommt, der Terrorismusbegriff äusserst schwammig und interpretationsbedürftig gehalten ist. Dort steht – und jetzt wird’s ein bisschen detailversessen:

Als terroristische Aktivität gelten Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.[2]

Es reicht also, dass eine Beeinflussung der staatlichen Ordnung durch Verbreitung von Furcht und Schrecken begünstigt wird, um als terroristische Aktivität kategorisiert zu werden, ohne dass damit eine schwere Straftat verbunden sein muss. Das Wörtchen oder macht den entscheidenden Unterschied im Gesetzestext. Wäre an dessen Stelle ein Und, müssten beide Kriterien, die Begehung oder Androhung einer schweren Straftat und die Verbreitung von Furcht und Schrecken gegeben sein, um Sanktionen auszulösen. Es steht aber ein Oder. Entweder das eine oder das andere Kriterium kann bei dieser Vorlage zu Sanktionen führen.

Kritik von vielen Seiten

Das ist nur eine der juristischen Unstimmigkeiten, die diese Gesetzesvorlage aufweist. Von berufener Seite wird sie denn auch heftig kritisiert, unter anderem

Hinzu kommt, dass die Zwangsmassnahmen bereits bei Kindern ab 12 Jahren angeordnet werden können, der Hausarrest ab 15 Jahren. Damit verstösst das Gesetz gegen die Kinderrechtskonvention.

Bei allem Verständnis für das Sicherheitsbedürfnis der Schweizer Bevölkerung und das Bemühen der Regierenden, diesem zu entsprechen, bin ich doch der Auffassung, dass entsprechende Massnahmen immer verhältnismässig sein und sich widerspruchsfrei ins bestehende Recht einfügen müssen. Umso mehr, wenn sie ein so wichtiges Gut wie die Grundrechte tangieren.

Ich werde deshalb zu dieser Vorlage ein doppelt unterstrichenes Nein einlegen.


Anmerkungen:

[1] In einem Interview zum Terrorismus-Begriff und den weltweiten wie schweizerischen Massnahmen gegen den Terrorismus bringt Patrick Walder, ehemaliger Delegierter für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und heute Kampagnenleiter bei Amnesty International, aus reicher Erfahrung Licht in ein dunkles und verworrenes Kapitel der Gegenwart. Das Gespräch ist im Onlinemagazin Republik erschienen: https://www.republik.ch/2021/05/14/terrorismus-ist-zum-kampfbegriff-geworden-um-den-politischen-gegner-zu-daemonisieren.

[2] Art. 23e, Abschnitt 2 des vorgeschlagenen Gesetzes, Hervorhebung durch den Verfasser

Quellen:

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