«Alle Staaten möchten die Menschen fernhalten, ob sie nun das Recht auf Asyl haben oder nicht.»

Je aufgeregter in Europa das Thema «Migration und Flüchtlinge» diskutiert wird, umso mehr scheinen die Verpflichtungen gegenüber internationalem Recht in den Hintergrund zu treten, etwa gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention. Daria Davitti, Rechtsprofessorin der Universität Nottingham in Grossbritannien und langjährige Kennerin der Migrationspolitik, nimmt Stellung zur Idee von «regionalen Auffangzentren» in Nordafrika. Mit ihr gesprochen hat Icíar Gutiérrez für eldario.es. Übersetzung aus dem Spanischen: Walter B.

Vor kurzem konnte man erfahren, dass die EU die Idee prüfe, sogenannte «regionale Ausschiffungsplattformen» in Nordaftrika zu schaffen. Was halten Sie von diesem Vorschlag, Zentren zu errichten, um ausserhalb Europas das Recht von MigrantInnen und Flüchtlingen auf Asyl zu prüfen?

Es besteht kein Zweifel, dass dieser Vorschlag, wenn er denn angenommen wird, die Externalisierung der Grenzen der Europäischen Union weiter vorantreibt und die EU und ihre Mitgliedsstaaten somit ihre internationalen Schutzverpflichtungen an Drittstaaten delegieren.

Wenn wir auch noch wenig über die in diesem Vorschlag vorgesehenen «regionalen Ausschiffungszentren» wissen, so ähneln sie doch sehr der Idee von Offshore-Verfahrenszentren, wodurch MigrantInnen und Schutzsuchenden nie wirklich europäisches Territorium betreten und in Drittländern ausserhalb Europas ein Verfahren durchlaufen. Das wird als Versuch dargestellt, im Mittelmeer Leben zu retten. Doch sterben die Menschen ja gerade im Mittelmeer, weil wir alle legalen Wege verschlossen haben, auf denen sie nach Europa kommen und Schutz suchen können.

In Ihrem letzten Bericht noch vor Bekanntwerden der neuesten Pläne geben Sie zu bedenken, dass solche Zentren ein «alter Plan» der EU seien. Seit wann werden solche Ideen erwogen?

Im letzten Bericht des Human Rights Law Centre, den Marlene Fries, Marie Walter-Franke und ich gemeinsam verfasst haben, stellen wir fest, dass dies eine «alte Idee» sei, weil die Mitgliedsstaaten der EU seit mindestens 1986 mit dem Gedanken von Verfahrenszentren ausserhalb Europas gespielt haben, damals noch auf Vorschlag der dänischen Regierung. 1993 brachte die niederländische Regierung die Idee ein und 1998 von neuem die österreichische.

Manche beziehen sich heute auf den Vorschlag von Tony Blair aus dem Jahr 2003, der «regionale Schutzzonen» näher der Herkunftsländer vorsah, möglicherweise unter der Verantwortung des UNHCR, des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge. Doch dies war nicht der erste Versuch, das einzuführen, was auch unter der Bezeichnung «exterritorialer Schutz» bekannt ist.

Seither wurden weitere Vorschläge in dieser Richtung eingebracht. Wann immer die Zahl der Menschen ansteigt, die nach Europa gelangen, scheint die Idee von Offshore-Verfahren wieder auf den Tisch zu kommen. Doch bis heute wurden sie nicht eingeführt. Und das aus gutem Grund: Es ist praktisch unmöglich, ein Verfahren solcher Art einzuführen, ohne gegen internationales Recht zu verstossen.

Glauben Sie, dass die Idee nun an Fahrt gewinnt und die europäischen Regierungschefs sogar definitiv vereinbaren könnten, sie in die Tat umzusetzen?

Ich hoffe, das wird nicht geschehen. In der Folge einer solchen Entscheidung würden höchstwahrscheinlich das UNHCR und die IOM, die Internationale Organisation für Migration, mitwirken – zumindest zu Beginn. Allerdings würden sie sich bald wieder zurückziehen, ebenso bald, wie die Verletzung internationalen Rechts offensichtlich würde. In so etwas werden sie nicht verwickelt sein wollen.

Momentan sind die Mitgliedsstaaten der EU nicht bereit, Personen aus Drittstaaten anzusiedeln. Menschen aus den Hotspots in Griechenland und Italien werden schon heute nicht konsequent umverteilt, ebensowenig solche aus der Türkei. Die Zahl der in den Mitgliedsstaaten der EU angesiedelten Personen unter internationalem Schutz [die sogenannten Kontigentsflüchtlinge] ist äusserst gering. Woher sollen wir die Gewissheit nehmen, dass das Vorgehen anders sein wird, wenn es um die Ansiedlung aus den Verfahrenszentren ausserhalb Europas geht?

Aus Sicht des Verfahrens selbst gibt es viele weitere Fragen: Wie wird garantiert, dass das vorgeschriebene Verfahren zur Klärung der Schutzbedürftigkeit eingehalten wird? Wie steht es um eine angemessene Rechtsvertretung und ein Berufungsverfahren? Wie wird ein System geschaffen, das gerecht und fähig ist, die Verletzlichsten zu identifizieren, also die Kinder, die Opfer von Menschenhandel, von sexueller Gewalt oder Folter, um nur einige zu nennen?

Die sogenannten «Salvaguardias» [Schutzgarantien] sind in keinem der Offshore-Systeme, die wir kennen, respektiert worden, weder in den australischen Zentren noch in jenen, die von den USA für die Boatpeople eingerichtet wurden, die HaitianerInnen, die auf unsicheren Wegen übers Meer kamen. Alle Staaten möchten die Menschen fernhalten, ob sie nun das Recht auf Asyl haben oder nicht.

Sie haben betont, dass die Argumente zugunsten eines Verfahrens ausserhalb der EU nicht haltbar sind. Warum sind sie Ihrer Meinung nach falsch?

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Nein zu Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag

Meine Ablehnung der Ausschaffungsinitiative und des Gegenvorschlags ist grundsätzlicher Art: Beide Vorlagen sind Ausdruck einer menschenverachtenden Haltung, nämlich dass man Menschen einfach entsorgen kann. Fort mit ihnen! Schliesslich sind es Kriminelle – und erst noch Ausländer, wobei die Reihenfolge beliebig gewechselt werden kann. Die Initiative der SVP wünscht das unverhohlen und ohne Rücksichten auf irgendwelche Empfindlichkeiten, der Gegenvorschlag wünscht dasselbe, aber völkerrechtskonform. Das zum Grundsätzlichen – und nun zu den Details:

Nein zur Ausschaffungsinitiative

  • weil sie eine Blendgranate ist. Denn sie ist nicht umsetzbar. Das Ansinnen verstösst gegen das Völkerrecht (z.B. gegen das Non-Refoulement-Prinzip, nach dem Menschen nicht in ein Land zurückgeschafft werden dürfen, wo sie an Leib und Leben bedroht sind). Sie verstösst auch gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU, sofern der betroffene Ausländer ein EU-Bürger ist.
  • weil die Diskriminierung von Ausländern in der Verfassung festgeschrieben würde, z.B. ihre doppelte Bestrafung: zusätzlich zur Bestrafung der Tat selbst käme die Ausweisung aus der Schweiz, was einer Apartheid-Justiz gleichkäme und ein ganz grundsätzliches Rechtsgut – die Gleichheit vor dem Gesetz – aushebeln würde.
  • weil alle Ausländer ohne Schweizer Pass von einer Ausschaffung bedroht wären, selbst Secondos, die in der Schweiz geboren sind.
  • weil bereits heute einem bestraften Ausländer die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden kann, wenn der Schutz der Öffentlichkeit schwerer wiegt als das private Interesse des Täters, in der Schweiz zu bleiben.

Nein zum Gegenvorschlag

  • weil er das menschenverachtende und falsche Anliegen der SVP in eine Form giesst, die völkerrechtskonform ist. Der Gegenvorschlag verhilft somit dem Anliegen womöglich zum Durchbruch, während sich die Ausschaffungsinitiative selbst bei einer Annahme voraussichtlich an die (rechtliche) Wand fahren würde. Einmal mehr biedern sich die bürgerlichen Kräfte, aus deren Mitte der Gegenvorschlag kommt, als Vollzugsgehilfen der SVP an und helfen mit, die enge Verknüpfung von Kriminalität, Migration und Ausschaffung definitiv in den Köpfen zu verankern.
  • weil auch der Gegenvorschlag die Sippenhaft stillschweigend akzeptiert: Die Ausschaffung einer straffälligen Einzelperson betrifft indirekt auch deren Familie: Meistens haben Kinder und Ehefrauen keine eigenständige Aufenthaltsbewilligung, so dass auch sie das Land verlassen müssten. Oder wenn straffällige Jugendliche ausgewiesen werden, können die Eltern die Erziehungsfunktion nur dann wahrnehmen, wenn sie zusammen mit dem verurteilten Jugendlichen das Land verlassen.
  • weil der Katalog der Strafen, die zu einer Ausweisung führen sollen, gegenüber der Ausschaffungsinitiative selbst sogar noch erweitert würde. So können laut Gegenvorschlag die Strafen der letzten zehn Jahre zusammengezählt und allenfalls zum Ausschaffungsgrund werden, und zwar auch Geld- und bedingte Strafen. Das zielt explizit nicht mehr nur auf Schwerkriminelle.
  • weil rein taktische Überlegungen – z.B. Annahme des Gegenvorschlags, um die Initiative zu verhindern – ein (taktisches) Eigentor wäre. Man würde damit den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
  • weil der Integrationsartikel, der Teil des Gegenvorschlags ist, ohne wirkliche Substanz ist und so nicht einmal als Zückerchen zur Versüssung der bitteren Ausschaffungspille taugt. So ist es zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit – und muss nicht nochmals in einem Integrationsartikel festgeschrieben werden –, dass die Verfassung und die öffentliche Ordnung respektiert werden müssen.

Die Ausschaffungsinitiative und der Gegenvorschlag atmen einen Geist, der meines Erachtens irrationale Züge trägt. Nicht mehr die Bekämpfung der Kriminalität, sondern die Eliminierung des Fremden wird als Hauptziel der Politik akzeptiert. Doch weder Menschen noch die Kriminalität kann und soll man einfach entsorgen.

Quellen und weiterführende Links:

  1. Text der Ausschaffungsinitiative
  2. Text des Gegenvorschlags
  3. Komitee Ausschaffungsinitiative 2 x Nein
  4. Komitee Pro „Volksinitiative für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)“